Mit: Jeremy Irons, Melanie Laurent, Jack Huston, Martina Gedeck, Tom Courtenay, August Diehl, Bruno Ganz, Lena Olin, Charlotte Rampling, Christopher Lee u.a.
Kurzinhalt:Auf dem Weg zur Schule, wo er als Lehrer tätig ist, begegnet Herr Gregorius eines Tages einer jungen Portugiesin, die sich von einer Berner Brücke stürzen will. Nachdem er sie davon abhalten konnte, verschwindet sie und vergisst dabei ihren roten Mantel. Von dem Geschehnis aufgewühlt und ohne Anhaltspunkte, versucht er die Frau wiederzufinden und stößt dabei in einer der Manteltaschen auf ein kleines Buch. Zwischen den Seiten liegt ein Fahrschein für den Zug nach Lissabon. Das Buch scheint ihm aus der eigenen Seele geschrieben und so folgt er zum ersten Mal in seinem Leben einem Impuls, und findet auf der Suche nach den Figuren des Buches und ihrer bewegten Geschichte, in der Zeit der Nelkenrevolution, sich selbst…
Review:
Ein bewegender Film, ein ruhiger Film, der ein Stück europäische Geschichte behandelt, das an deutschen Schulen vermutlich nicht vorkommt, und gleichzeitig den Zuschauer, wie vermutlich auch den Leser des Buches von Pascal Mercier, in seinen Bann zieht. Jeremy Irons ("Die Borgias") spielt die Hauptfigur Raimund Gregorius und spricht aus, wie man sich selbst angesichts der Entwicklungen und Geschichte der anderen fühlt – unbedeutend und langweilig. Er wird somit zum Anker - zur Figur, mit der man sich sofort identifizieren kann. Für alle Portugiesen, bis auf den Autor des Buches – Amadeu de Prado - gibt es zwei Darsteller, die in zwei Zeiten die jeweilige Rolle übernehmen. Die Zeit der Revolution und davor bestreiten v.a. Jack Houston ("Boardwalk Enpire") als Amadeu, August Diehl ("Wir wollten aufs Meer") als Jorge O'Kelly und Mélanie Laurent ("Die Unfassbaren") als Estefânia die Geschehnisse. So ist dies nicht nur eine Geschichte über die Revolution, sondern auch über die Freundschaft der beiden Männer und der Frau in ihrem Leben. Die Dreierkonstellation bietet den Aufhänger für Drama, besonders in der Entscheidung zwischen der Liebe und der Verpflichtung. Jedoch sind alle drei von Anfang an völlig unterschiedliche Charaktere, die nur einen - wenngleich intensiven - Teil ihres Weges zusammen gehen können. Gregorius trifft zunächst auf die noch lebende Schwester des Autors – souverän gespielt von Charlotte Rampling ("I, Anna") – die den Tod ihres Bruders nie richtig verarbeitet hat. Ein Zufall bringt ihn schließlich in die Praxis von Marianna (Martina Gedeck, "Die Wand"), mit der er beginnt seine Reise zu teilen und die ihm mit ihrem Onkel, einem Weggefährten der Drei, bekannt macht.
Der Cast der hier zusammengestellt wurde, ist schon außergewöhnlich für eine weitgehend deutsche Produktion. Neben Rampling und Gedeck, treten noch Bruno Ganz ("Unknown Identity") und Lena Olin ("Der Hypnotiseur") als die älteren Jorge & Estefânia in der Gegenwart auf, und als Sahnehäubchen darf Christopher Lee ("Der Hobbit") durch eine alte Klosterschule führen. Der Film erweckt zunächst den Eindruck nur ganz langsam und bedächtig von Figur zu Figur, von Ort zu Ort zu plätschern und man hat fast Angst vor Ablauf der 111 Minuten, nicht mehr alle Details zu erfahren. Umso erstaunlicher ist es, wie dicht er dann doch gepackt ist und die Wege der Vergangenheit und Gegenwart zusammenführt. Der dänische Regisseur Bille August fand mit den Rückblenden in die Jugend den perfekten Weg, die Dialoge von Gregorius mit den jetzt alten Figuren aus dem Buch, dass ihn nach Lissabon führte, darzustellen und nicht in Eintönigkeit münden zu lassen, ohne die Grundstimmung zu zerstören. Außergewöhnlich.
Hier gibt es dann die Action und etwas entrückte Brutalität der Zeit mit der Geheimpolizei, von der mir gar nicht klar war, dass es sie in Portugal - ganz ähnlich der Diktatur von Franco in Spanien oder Mussolini in Italien – ebenso gab, über die es zahllose Romane und Filme gibt (selbst Fantasy wie "Pans Labyrinth" hat sich damit befasst). So hat mich persönlich der Film nicht nur aus Sicht von Gregorius beeindruckt, ich habe auch noch was gelernt (auch wenn die spezifischen Figuren und ihre Geschichte Fiktion sind). Jüngere Geschichte, die sich südlich der Alpen abgespielt hat, begegnete mir bisher kaum. Im Geschichtsunterricht wurde zu meiner Zeit nach den Weltkriegen direkt auf die internationale Bühne und den kalten Krieg geschwenkt, und dann ist kaum noch Zeit, auf 40 Jahre Deutsche Teilung einzugehen. Es gibt einfach zu viel Menschheitsgeschichte für 12 Jahre Schule. Was ich damit ausdrücken will: ich finde es großartig, wenn Autoren und Filmemacher einen Weg finden, Geschichte durch ihre Figuren lebendig werden zu lassen und so nicht nur von spannenden Leben erzählen, sondern auch aufklären. Jeremy Irons ist hier fantastisch, gerade in der Unscheinbarkeit seiner Figur fällt von ihm so eine gewissee Übertriebenheit oder Pomp ab, mit dem man ihn gerne in Verbindung bringt. Die Charaktere, auf die er fast schon type-gecastet wird, haben gerne mal diesen Shakespeare-Einschlag, die ein gewisses Overacting abverlangen. Hier zeigt er erneut, dass er doch viel mehr kann.
Fazit:
"Nachtzug nach Lissabon" ist eine klare Empfehlung und sieht auf BluRay wunderschön aus. Vom grauen, verregneten Bern in das leuchtend-helle Lissabon hat der Film ein klares Bild und entführt einen auf eine faszinerende Reise. Ein Film für alle Leseratten. Klingt wie ein Widerspruch, doch das geschriebene Wort wird hier fast schon zelebriert. Es kann Leben verändern.
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Kommentare (2)
1. 20.10.2013 01:29
Seichtes Geplänkel
Einfach enttäuschend! Da das Buch eines meiner Lieblingsbücher ist, vergleiche ich natürlich die Romanvorlage und das Produkt Film. Sicherlich ist es immer schwierig, die Dichte und Tiefe sehr anspruchsvoller Bücher ins Filmische zu transportieren. Aber, dass einer Crew bei dem Transport beinah alles an Inhalt verloren geht, ist wirklich sehr bedauerlich, wenn nicht zu sagen peinlich. An dem Hauptdarsteller (und einigen seiner MitstreiterInnen) lag der Fehler auf jeden Fall nicht. Ich denke, die Filmhersteller hätten sich ein einfacheres Buch zum Verfilmen wählen sollen. Nicht jeder kann ein Genie sein.
ich empfand nicht, dass der Film wenig Inhalt zu bieten hatte, nur ist das Medium halt ein ganz anderes. Ich kenne das Buch, wie schon im Artikel beschrieben, nicht und als Film für sich funktioniert der, meiner Meinung nach, eben schon großartig.
Ich find die Kritik schon echt ganz schön krass, als wär der superschlecht und das ist er nicht.