Mit: Mia Wasikowska, Nicole Kidman, Matthew Goode, Phyllis Somerville, Jacki Weaver u.a.
Kurzinhalt:
Der an der Schwelle zur Frau stehenden India Stoker gelingt es nur schwer, mit dem Tod ihres geliebten Vaters fertig zu werden. Als dessen lang verschollener Bruder von seinen Reisen zurückkehrt um der Familie in dieser schwierigen Zeit beizustehen, droht das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Mutter und Tochter endgültig zu zerreißen. Vor allem, da sowohl Evelyn als auch India schnell seinem Charme erlegen sind. Seine Ankunft bringt schließlich ein schreckliches Familiengeheimnis zu Tage, dass diese endgültig zu zerstören droht…
Review:Chan-wook Park sollte Cineasten mit erlesenem Geschmack mittlerweile als koreanischer Regie-Virtuose, der sich für Filme wie die "Revenge"-Trilogie ("Sympathy for Mr. Vengeance", "Oldboy" und "Sympathy for Lady Vengeance") oder auch das Vampir-Drama "Durst" verantwortlich zeichnet, wohlbekannt sein. Mit "Stoker – Die Unschuld endet" legt er nun sein US-Regiedebüt vor – und wo andere asiatische Regisseure beim Sprung über den großen Teich schon mal ins Straucheln geraten sind, reiht sich dieses qualitativ in seine bisherigen Werke ein. Das hervorstechendste Merkmal ist dabei zweifellos Parks Inszenierung. Er schmückt "Stoker" mit zahlreichen malerischen Bildern, die in Erinnerung bleiben, sowie mit einigen imposanten Einstellungen und Momenten. Schon allein die visuelle Gestaltung des Films ist es für mich wert, ihn sich bei Gelegenheit anzusehen – einfach nur, um in den wunderschönen Bildern schwelgen zu können. Jedenfalls ist "Stoker" zweifellos einer der bisher visuell beeindruckendsten Filme des Kinojahres – und das völlig abseits von Spektakel.
Neben den Bildern an sich weiß Parks Inszenierung aber zum wiederholten Mal auch atmosphärisch zu überzeugen. Zugegeben, wer sich von seinem Horror bzw. seinem Thriller ganz große, nägelbeißende Momente und/oder Schockeffekte erwartet, oder gar literweise Blut braucht, um sich zu fürchten, dem dürfte dieser Film wohl nur ein ratloses Stirnrunzeln entlocken. "Stoker" ist dann doch einer ein stiller, ruhiger Thriller – und dennoch atmosphärisch ungemein dicht, praktisch von der ersten Sekunde an. Den gesamten Film durchzieht eine düster-beklemmende Grundstimmung, die zumindest mich die komplette Laufzeit hinweg in ihrem eisigen Griff gefangen hielt, und für wohlig-schaurigen Grusel sorgte. In dieser Hinsicht dürfte "Stoker" viele Cineasten wohl an die Klassiker von Alfred Hitchcock erinnern, an dessen Stil sich Park hier konsequent zu orientierten scheint. Dennoch ist die düstere Grundstimmung natürlich nicht alles – gelegentlich wird diese nämlich sehr wohl durch kurze Momente unterstützt, in der die Spannung ein Crescendo erreicht. Dies gilt insbesondere für den "Showdown", aber auch davor gibt es einige Momente, wo Park die Spannungsschrauben merklich anzieht. Dennoch liegt der wahre Reiz des Films für mich eher in der allgegenwärtigen beklemmenden Atmosphäre, denn diesen spannungstechnischen Höhepunkten. Generell spielt sich bei "Stoker" der Schrecken eher im Kopf ab, bzw. ist der Thrill überwiegend psychologischer Natur, und ergibt sich aus der glänzenden Dynamik zwischen den Figuren – und eben Parks atmosphärisch dichter Inszenierung. Unterstützt wird er dabei von einer schaurig-schönen Filmmusik des verlässlichen Klangvirtuosen Clint Mansell, der die Wirkung von Parks Bildern und Einstellungen mit seinen düsteren Klängen kongenial verstärkt.
Einen wesentlichen Anteil am Gelingen des Films haben auch die Schauspieler. Dass es gilt, die junge australische Schauspielerin Mia Wasikowska im Auge zu behalten, hat sie ja spätestens mit ihrer Leistung in "The Kids Are All Right" bewiesen. Seither folgten die Titelrolle in "Alice im Wunderland" und weitere gute Performances z.B. in der Romanverfilmung "Jane Eyre", Gus van Sants "Restless" sowie im Gangsterdrama "Lawless". Dennoch ist es schon ein bisschen her, dass sie ihren ganz eigenen, irgendwie schaurigen Charme so richtig versprühen durfte. Insofern erweist sich India Stoker für sie als optimale Rolle, und Wasikowska im Gegenzug als die Idealbesetzung der Figur. Sie bringt sowohl die verführerische, die ängstliche, die zaghafte, als auch die gruselige Seite ihrer Protagonistin perfekt zur Geltung. Auch Matthew Goode vermag zu begeistern. Konsequent schwankt er zwischen charismatisch und bedrohlich herum, und verleiht seinem Charles Stoker einen gewissen Reiz, dem man sich als Zuschauer selbst nachdem sein Geheimnis aufgedeckt wurde nicht gänzlich entziehen kann.
Nicole Kidman bleibt angesichts ihrer vergleichsweise uninteressanten und geradlinigen Figur zwar ein wenig auf der Strecke, dennoch zeigt auch sie eine ansprechende, gefällige Leistung. In kleineren, aber teils durchaus wichtigen Nebenrollen sind dann u.a. noch Jacki Weaver, Dermot Mulroney und Phyllis Somerville zu sehen, die sich ebenfalls keine Blöße geben, und den Film durchaus aufwerten. Das Einzige, was an "Stoker" vielleicht nicht ganz so begeisternd ausgefallen ist, ist die Handlung. Wohlgemerkt: Ich sagte Handlung… und nicht das Drehbuch an sich. Denn zu diesem gehören ja auch die Figuren, ihre Beziehung und Dynamik zueinander, usw. – und was das betrifft mag "Stoker" zwar nicht Neuland betreten, dennoch kann der Film in dieser Hinsicht absolut überzeugen. Aber die Geschichte an sich, die ist halt jetzt nicht unbedingt sonderlich neu oder innovativ. Auch überraschende Wendungen sollte man sich eher nicht erwarten, denn zumindest ich konnte die zwei bis drei Offenbarungen und/oder Entwicklungen, mit denen "Stoker" aufwarten kann, bereits vorausgesehen, weshalb sich mich nicht so wirklich schockieren konnten. Die wunderbar charakterisierten, sehr interessanten und auch durchaus vielschichtigen Figuren machten diesen Kritikpunkt für mich allerdings mehr als nur wieder wett. Auch sei festgehalten, dass die Handlung ja nicht schlecht ist – sie ist halt nur schon ein wenig bekannt, und bietet alles in allem nichts, dass man so oder so ähnlich nicht schon mal gesehen hätte. Wer mit diesem Manko leben kann, wird mit einem atmosphärisch dichten Psycho-Thriller der Extraklasse belohnt, mit dem Chan-wook Park seinen Ruf als einer der interessantesten, verlässlichsten und besten zeitgenössischen Regisseure erneut bestätigt.
Fazit:"Stoker" besticht vor allem mit einer virtuosen visuellen Gestaltung durch Chan-wook Park, die mit zahlreichen imposanten, wunderschönen Bildern aufwarten kann, sowie der bedrohlich-bedrückenden Grundstimmung, die er dem Film dank seiner atmosphärisch dichten Atmosphäre verleiht. Dabei sollten Horror- und Thriller-Fans jedoch im Gedächtnis behalten, dass "Stoker" seinen Schauer eher der beklemmenden Grundstimmung als völliger nervenzerreißender Anspannung verdankt, und doch eher ruhigen, stilvollen und vor allem psychologischen Grusel bietet, bei dem sich der Schrecken zu einem Großteil im Kopf abspielt. Neben Chan-wook Park ist in erster Linie auch noch den Schauspielern ein ganz großes Kompliment auszusprechen, allen voran Mia Wasikowska und Matthew Goode, die beide ihre jeweiligen, sehr vielschichtigen und zu gleichen Teilen verführerischen wie gruseligen Figuren auf beeindruckend-hypnotisierende Art und Weise darstellen. Die Handlung an sich mag zwar nichts Besonderes und überwiegend bekannt sein, aber die interessanten Figuren sowie die spannende – und spannungsgeladene – Dynamik zwischen ihnen machte dieses Manko für mich mehr als wieder wett. Insgesamt bietet "Stoker" schaurig-schönen Grusel, der für alle Cineasten ein Pflichtprogramm darstellen sollte.