Kurzinhalt:
Alain, ein ehemaliger Preisboxer, obdachlos und mit seinem Sohn alleingelassen, verlässt Belgien, um bei seiner Schwester an der französischen Côte d’Azur unterzukommen. Er sucht sich einen Job bei einer Sicherheitsfirma und ist alsbald Türsteher eines Clubs. Eines Abends lernt er bei einer Rangelei Stephanie kennen, die am Tag Waltrainerin im örtlichen Aquarium ist. Bei einer ihrer Shows hat sie schließlich einen furchtbaren Unfall und als sie der Lebensmut verlässt ist Alain der Einzige der normal mit ihr umgeht. Zwischen den beiden entwickelt sich langsam eine Verbindung, die über Sex hinausgeht…
Review:Der im Januar bei uns in den Kinos angelaufene Film von Jacques Audiard – den ich noch als Drehbuchautor & Regisseur von "Der wilde Schlag meines Herzens" kenne und dessen oscarnominierter Film "Ein Prophet" sicher einigen bekannt sein dürfte – ist seit einem Monat im Handel und hat nun auch den Weg in meinen BluRay-Player gefunden. Leider konnte ich damals den Film nicht reviewen, das hole ich hiermit nach. "Der Geschmack von Rost und Knochen" ist eine recht dramatische, aber lebenbejahende Geschichte, und nicht einmal vordergründig eine Liebesgeschichte. Sie behandelt viel mehr ein inhärentes, sofortiges Vertrauen zwischen gleichgesinnten Charakteren voller Ecken und Kanten. Die gebrochene Frau ohne Lebenslust und der eigentlich fast fiese - zumindest zwielichtige - Typ, der keine Ahnung hat, wie er mit seinem Sohn umgehen soll, bilden ein sehr eigenwilliges Paar. Er ist immer haarscharf an der Grenze zur rohen Gewalt, die er nur durch den Kampf zu kanalisieren können scheint, durch den er sich aber auch lebendig fühlt – ein Thema das Audiard in "Der wilde Schlag meines Herzens" schon aufgriff und hier aus einem anderen Winkel zeigt.
Alain wird von Matthias Schoenaerts gespielt, den ich von seiner Hauptrolle aus dem oscarnominierten belgischen Kurzfilm "Death of a Shadow" kannte und kaum wiedererkannt habe. Für die Rolle des Kämpfers hat er ordentlich an Masse zugelegt. Stephanie verliert beide Beine und fühlt sich auf eine seltsame Weise von der Kraft und dem - ihr fehlenden - Lebenswillen von Alain unglaublich angezogen. Sie will zunächst nicht, dass er seine Gesundheit bei den Hinterhofkämpfen riskiert, fühlt sich von ihrer Rohheit aber auch angezogen. Im Gegenzug gibt sie ihm Ruhe und so etwas wie Geborgenheit. Er hat Sex mit irgendwelchen Frauen, der aber genauso roh abläuft, wie seine Kämpfe. Bei ihr jedoch wird es zu Liebe. Marion Cotillard ("The Dark Knight Rises") ist selbst in ihrer Verzweiflung und als Häufchen Elend wunderschön und damit meine ich ganz sicher nicht nur ihr Erscheinungsbild. Sie hat diese Gabe mit ihren Rollen zu Verschmelzen und auch hier ist sie Stephanie. Auch wenn ihre Prothesen nur animiert sind, ist der Weg ihrer Stephanie zurück ins Leben - aus der selbstgewählten Isolation, aus dem Rollstuhl – extrem mitreißend, wobei das Meiste komplett über ganz leichte Änderungen von Gestik und Mimik abläuft, statt über die Dialoge.
Ganz klar trägt zur Stimmung und ihrer Änderung im Laufe des Filmes auch die Kameraarbeit von Stéphane Fontaine ("72 Stunden - The Next Three Days") bei, und die ist wirklich ausgezeichnet. Stephanie ist zunächst mit ganz weichem Licht in Grauschattierungen gewickelt und wirkt wie in Watte gepackt – die Visualisierung ihres Kokons auf der Leinwand – während die recht raue Welt Alains harte Kontraste bereithält; beides fließt langsam ineinander. Der Film braucht für meinen Geschmack aber etwas zu lang, um die eigentliche Geschichte anzubrechen. Die Wege der Beiden kreuzen sich kurz, um dann fast die Hälfte des Films nebeneinander herzulaufen. Außerdem gibt es eine dramatische Wendung zu viel, ohne die der Film auch funktioniert hätte, aber französisches Kino offenbar nicht auskommt. Es wirkt fast so, als wolle Audiard, dass seine Figuren das Bisschen erkämpfte Glück wieder aufgeben sollen. Vermutlich dachte er sich, dass auch sein Alain eine Katharsis bräuchte, die in der Stärke dem Unfall Stephanies gleichkommt, dafür wirkt die dann aber leider etwas wie in letzter Minute dazugeschustert.
Der Blu-Ray-Release von "Der Geschmack von Rost und Knochen" überzeugt bildlich, lässt aber auf Stereosystemen etwas Kraft in der Sprachspur vermissen. Ich konnte ständig hoch- und runterregeln, weil die Geräuschkulisse die Dialoge übertönte. Wurden die ruhigen Momente dann abrupt von Krach abgelöst war es wieder viel zu laut. Die geschnittenen Szenen sind Erweiterungen von Szenen, die im Film sind, und als solche tatsächlich aus gutem Grund der Schere zum Opfer gefallen. Eine kurze Featurette zeigt, wie die Experten der Spezialeffekte aus grünen Strümpfen mit Markierungen amputierte Beine bzw. Prothesen zauberten. Das war es auch schon an erwähnenswertem Bonusmaterial.
Fazit:
"Der Geschmack von Rost und Knochen" zeigt eindringlich, wie man selbst aus dem tiefsten Loch wieder zurück ins Leben kommen kann, und wie sich selbst die ungleichsten Paare dabei unterstützen können. Man wächst beim Schauen in den Film hinein und die Darstellung begeistert von Anfang bis Ende. Trotz kleinerer Kritikpunkte eine klare Empfehlung.