Tim Burton lässt die Puppen tanzenKategorie: Specials - Autor: Presse-Feature - Datum: Freitag, 25 Januar 2013
Von der Ursprungsidee bis zu den eigentlichen Dreharbeiten war "Frankenweenie" stets eine Herzensangelegenheit, an der sich eine ganze Armada an Künstlern, Animatoren, Requisitenbauern, Puppenmachern, Designern und Handwerkern mit Hingabe beteiligte. Dabei war Tim Burton in jeder Phase des Jahre dauernden Entstehungsprozesses hautnah involviert, mit dem Ergebnis, dass das Resultat nun deutlich die kreative und visionäre Handschrift des Filmemachers trägt.
STOP-MOTION-ANIMATION
Stop-Motion gehört zu den ältesten Animationstechniken und ist ein sehr handwerklicher Prozess. Pro Sekunde enthält "Frankenweenie" insgesamt 24 Bilder, das bedeutet, ein Animator muss jede Puppe 24-mal minimal bewegen, um eine Sekunde Filmgeschehen zu erhalten. Im Durchschnitt produziert ein Animator deshalb nur etwa fünf Sekunden Animationsfilm pro Woche. Weil die Animatoren mehr als eine Puppe für jede Figur zur Verfügung haben, können sie gleichzeitig an verschiedenen Filmszenen arbeiten. Bis zu 18 Animatoren arbeiteten bei "Frankenweenie" unabhängig voneinander, aber gleichzeitig.
Die Stop-Motion-Dreharbeiten zu "Frankenweenie" dauerten zwei Jahre und erforderten den Einsatz einer vielseitigen und hoch talentierten Crew. "An so einem Film arbeiten jede Menge Leute mit", verrät Regisseur Tim Burton. "Der Unterschied zu einem Spielfilm mit Schauspielern besteht darin, dass alles quasi in extremer Zeitlupe passiert. Beim Spielfilm muss man ständig Entscheidungen in Hochgeschwindigkeit fällen. Bei Stop-Motion kann sich der Dreh einer Szene je nach Komplexität über ein paar Tage oder sogar Wochen hinziehen."
Viel Recherche- und Vorbereitungsaufwand floss in die Animation der beiden Hunde Sparky und Persephone. Animationsleiter Trey Thomas und sein Team studierten die Bewegungsabläufe von Hunden und besuchten dafür unter anderem die Windsor Dog Show, um dort Hunde in Aktion zu filmen. Anschließend brachten sie einen Bullterrier mit ins Studio, den sie beim Nachspielen verschiedener Sparky-Szenen ebenfalls abfilmten. Auch Pudel besuchten das Studio und fungierten als reale Persephone-Doubles. "Wir versuchten, die Bewegungen so authentisch wie möglich zu gestalten. Natürlich sollte sich auch dieser typische Tim-Burton-Hund so realistisch wie ein echter Hund verhalten."
Am Film beteiligten sich etwa 33 Animatoren, die während der zweijährigen Dreharbeiten von "Frankenweenie" zumeist jeweils allein arbeiteten. Die typische Arbeitswoche begann für jeden Animator damit, dass man ihm eine Szene zuwies, deren sämtliche Figuren nun in seiner Verantwortung waren. Sobald er sich in die Aufgabe eingearbeitet hatte, ging der Animator seine Szene durch oder machte eine Block-Probe mit dem Animationsleiter. Diese Arbeitsweise half dabei, verbliebene Fragen über Kamerabewegung, Beleuchtung und Requisitenplatzierung zu lösen. Am nächsten Tag hatte der Animator Zeit, einen tatsächlichen Probedurchlauf zu inszenieren, wobei er die Feinheiten der Bewegungen und des Timings definieren konnte. Dabei orientierten sich die Animatoren an den sehr klaren Vorstellungen von Tim Burton und seinem Animationsleiter Trey Thomas darüber, wie Gefühle oder Humor auszudrücken seien.
Die Animatoren verwendeten auch viel Sorgfalt auf die Körperspannung der Puppen. Die Spannung wird durch das Festdrehen der Stellschrauben in den Gelenken und Gliedmaßen erreicht und jeder Animator hat da seine ganz eigenen Vorlieben. Manche der Künstler möchten absolute Präzision und drehen dafür die Schrauben fester, andere bevorzugen eine sanftere Handhabung und daher auch eine lockerere Spannung.
Stundenlang mussten sich die Animatoren mit den Puppen beschäftigen, um all die erforderlichen Bewegungen zu lernen, ob es nun das Sitzen, Stehen oder Teetrinken war oder was immer es sonst in der Szene auch zu tun gab. Am Drehtag kannten die Animatoren dann exakt ihre Aufgaben und machten sich daran, 24 Einzelbilder pro Filmsekunde zu fotografieren. In den gesamten Prozess war Animationsleiter Trey Thomas natürlich stark eingebunden. An jedem Drehtag besuchte er alle Studios und half den Animatoren dabei, eventuelle Schwierigkeiten zu meistern. "Jede Aufnahme ist wie ein Puzzleteil in einem großen Bild, deshalb muss man sich Bild für Bild an die Emotionen und Bewegungen der Figuren heranarbeiten, damit es auch realistisch und glaubwürdig aussieht", verrät der Experte. "Tim [Burton] bestand auf einem glaubwürdigen Stil, auf der Einhaltung physikalischer Gesetzmäßigkeiten und darauf, dass es sich richtig 'echt' anfühlen sollte. Er wünschte sich einen unverfälschten Film mit Herzwärme – und das haben unsere Animatoren eben auch versucht."
Die Stimmen wurden den Bewegungen mit Hilfe von Planungstools namens Dope Sheets angepasst, in denen alle Frames mit den einzelnen Dialogen minutiös aufgelistet sind. In einer Szene, in der z. B. eine Figur "Setz dich bitte!" sagt, notiert sich der Animator, dass Figur 1 nach diesem Satz auf den Stuhl zeigt und Figur 2 sich dann hinsetzt. Die Dope Sheets helfen dem Animator, die Arbeitsschritte und Bewegungsabfolgen – insbesondere bei Szenen mit mehreren Figuren – zu koordinieren – denn jede Bewegung der einzelnen Figuren muss verfolgt werden, sei es auch nur ein Blinzeln.
DIE PUPPEN
Mehr als 200 Puppen wurden für "Frankenweenie" gebaut, darunter 18 Victors und 15 Sparkys. Die Duplikate waren nötig, da stets mehrere Animatoren gleichzeitig an verschiedenen Szenen arbeiteten und hin und wieder natürlich Reparaturen an den Puppen fällig wurden. Als erste Puppe des Films erblickte Sparky das Licht der Welt – seine Größe definierte alle weiteren Proportionen des Films. Dabei hatte Tim Burton sehr spezifische Vorstellungen von Sparkys Wesen und legte großen Wert darauf, dass sich Sparky auch tatsächlich wie ein Hund bewegte und benahm. Die Puppentechnik war extrem aufwändig und so einigte man sich bei ihm auf 10,1 cm Größe – darunter konnte man nicht gehen, ohne auf gewisse erforderliche Bewegungen und Persönlichkeitsmerkmale zu verzichten. Sobald Sparky definiert war, konnten die Puppenmacher auch den Rest der Figuren und Sets dementsprechend in der Größe ausrichten.
Die Puppen verfügen über verschieden komplexe Ausdrucksmöglichkeiten. Dabei war Victor die komplizierteste der menschlichen Puppen: Sein Kopfmechanismus beinhaltet nicht nur Lippen- und Augenbrauenhebel, sondern auch ein ausgeklügeltes Inbusschlüssel-System, mit dem der Animator Wangen und Kiefer in winzigen Schritten bewegen kann. Auch Sparky gehört zu den Puppen mit unglaublich komplexem Innenleben. In seinen Körper sind über 300 Gelenke integriert und wegen seiner extrem dünnen Beine musste der Körper in vielen Szenen durch ein Gestell gestützt werden, damit man seine Bewegungen realistisch animieren konnte. "Sparky sitzt niemals still", erläutert die Produzentin Allison Abbate. "Es wäre unmöglich gewesen, ihn auf diesen dürren Beinchen zu stabilisieren. Jetzt in der Postproduktion können wir das Gestell digital entfernen – die Animatoren haben die absolute künstlerische Freiheit und können Sparky wie einen echten kleinen Hund herumflitzen und -hüpfen lassen."
Der komplexe Puppenbau erfolgte in verschiedenen aufeinander folgenden Schritten. Zuerst fertigte Tim Burton eine Skizze der Figur an. Anschließend wurde die Skizze an die britischen Puppenmacher von Mackinnon & Saunders geschickt, wo man ein 3-D-Miniaturmodell, eine so genannte Maquette, auf Basis der Skizze anfertigte. Damit begann der ausgiebige Abstimmungsprozess zwischen Tim Burton und den Puppenkünstlern, bis schließlich die Figur den künstlerischen Ansprüchen genügte.
Sobald man sich auf die Größe und andere Merkmale geeinigt hatte, gestalteten die Künstler eine finale Figur, unabhängig von der ersten Maquette. Diese Maquette musste vollkommen neutral aussehen, mit an der Seite herabhängenden Armen, nach vorn gerichtetem Gesicht und breitbeinigem Stand. Im nächsten Schritt nahmen die Puppenmacher einen Abguss der Maquette. Sobald die Gussform angefertigt war, konnte man beliebig viele Abgüsse für weitere Exemplare machen. An diesem Punkt musste der Puppenmacher sich bereits Gedanken über die erforderlichen Bewegungen machen und dazu das Skript heranziehen. Sollte die Figur sitzen, essen oder herumhüpfen? Anhand dieser Informationen bauten die Puppenmacher das richtige Unter-Skelett, um die gewünschten Bewegungen zu ermöglichen.
Armaturenmacher müssen extrem genau arbeiten, da Unmengen an winzigen beweglichen Teilen an der richtigen Stelle des Körpers zu platzieren sind. Sobald die Armatur gestaltet war, begannen die Puppenmacher damit, die Figuren zu gießen. Dazu legte man die Armatur in die Gussform und goss Latex oder Silikon darüber. Oft erfolgte der Guss des Kopfes getrennt von dem des Körpers. In der Zwischenzeit beschäftigte sich Burton intensiv damit, zusammen mit den Künstlern die Kostüme zu designen und die richtigen Stoffe auszusuchen, die der Zeit, in der seine Visionen spielten, entsprach. Anschließend fertigten die Kostümbildner Prototypen der Kleider zur Freigabe durch Tim Burton, etwa die Regenmäntel für das Ehepaar Frankenstein. Im letzten Schritt nähten die Schneider alle Kostüme mit winzigen Stichen per Hand, um auch dabei die Proportionen einzuhalten.
Dann bekamen die Perückenmacher zu tun, die den Puppen aus Echthaar Frisuren machten. Zuerst versuchten es die Filmemacher mit Kunsthaar, doch das erwies sich als zu glänzend und beim Festziehen als störrisch. Die Haare wurden einzeln durch die Gussmasse gestochen und mit Drähten fixiert. Dank dieser Drähte bewegen sich die Haare der Puppen, etwa beim Gehen.
Das Puppenkrankenhaus am "Frankenweenie"-Set war immer voll. Die Modellbauer verbrachten Monate mit der Versorgung von defekten Gliedmaßen, der Heilung von Haar- und Hautproblemen und der Reparatur von zerrissener oder verschmutzter Kleidung. Nicht zuletzt fand das Team sogar die Zeit, alle einfacher gehaltenen Hintergrundpuppen zu bauen und sogar einige der Hauptfiguren in Gänze zu produzieren.
"Frankenweenie" läuft seit 24. Januar 2013 in den deutschen Kinos.