Mit: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Donna Bae, Ben Whishaw, James D'Arcy, Zhou Xun, Keith David, David Gyasi, Susan Sarandon, Hugh Grant u.a.
Kurzinhalt:
1849: Bei der Überfahrt von den Pazifischen Inseln schließt der erkrankte Anwalt Adam Ewing Freundschaft mit Autua, einem entflohenen Sklaven. 1931: Der talentierte, aber mittelose Komponist Robert Frobisher erschleicht sich eine Stelle als Assistent der alternden Musiklegende Vyvyan Ayrs. Als Frobisher selbst mit zu Komponieren beginnt, kommt es zum Streit mit Ayrs bezüglich des Urhebers seines Werkes. 1973: Die Journalistin Luisa Rey deckt einen Umweltskandal auf und gerät dabei in tödliche Gefahr. 2012: Der Verleger Timothy Cavendish versucht aus einem Altenheim auszubrechen, in das er unwissentlich eingewiesen wurde. 2144: Sonmi-451, eine geklonte, niedere Bedienstete einer Fast-Food-Kette, wird zum Zentrum einer Revolution. 2321: Meronym, die Abgesandte einer fortschrittlichen, aber sterbenden Zivilisation, bittet den einfachen Hirten Zachry um Hilfe. Gemeinsam machen sie sich auf um einen Hilferuf für ihr Volk zu senden. Doch hierfür müssen sie das Territorium der Kona, einem Stamm von Kannibalen, durchqueren.
tubbacco
Review von Christian Siegel:
"Cloud Atlas" ist wieder einmal ein sehr kontroverser Film, und einer jener, wo es nur zwei Möglichkeiten zu geben scheint: Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn. Ein gutes Beispiel dafür ist die Jahresliste des Time Magazines, die "Cloud Atlas" zum schlechtesten Film des Jahres kürte. Zugleich gibt es auch viele Filmkritiker, die ihn unter die besten Filme des Jahres stellen, der eine oder andere sogar auf Platz 1. Zugegeben, eigentlich sollte man sich über die Times-Liste gar nicht weiter aufregen. Die Entscheidung ist zu offensichtlich dazu gedacht, anzuecken und für Aufregung zu sorgen. Selbst wenn man mit den Geschichten und der Art und Weise, wie "Cloud Atlas" sie verknüpft, nicht viel anfangen kann, und/oder einen die Make Up-Effekte nicht überzeugen, bleibt immer noch so vieles an gelungenen und absolut hochwertigen Aspekten übrig – wie die schauspielerischen Leistungen, die Effekte, und die Musik – dass sich jedes Medium, das "Cloud Atlas" zum schlechtesten Film des Jahres kürt, in meinen Augen selbst disqualifiziert. Das sagt mehr über diejenige Person aus als über den Film. Trotzdem zeigt es, dass man bezüglich des Films geteilter Meinung sein kann.
Insofern freut es mich sehr, kund tun zu können, dass ich mich zu jenen zählen kann, die ihn für einen der besten Filme des fast abgelaufenen Kinojahres halten. Hierzu sei gleich gesagt, dass ich vor Sichtung des Films das Buch nicht kannte (ich habe vor wenigen Tagen angefangen, es zu lesen, bin aber noch nicht einmal bei der Hälfte). Generell habe ich mich bemüht, ihn so unvorbereitet wie möglich zu sehen. Ich habe den fast 6-minütigen Trailer ganz bewusst ausgelassen, und auch so gut wie keine Berichte gelesen. Ich wusste lediglich, dass er aus sechs Einzelgeschichten besteht, die mehr oder weniger miteinander verknüpft sind. Davon abgesehen ging ich völlig "kalt" ins Kino. Ich sage das vor allem deshalb, um mit dem Gerücht aufzuräumen, man könnte "Cloud Atlas" nicht verstehen, wenn man zuvor nicht den Roman gelesen hat. Das gleiche Argument habe ich schon bei den "Harry Potter"-Verfilmungen gehört, und bis auf kleine, unwichtige und vernachlässigbare Details, die vielleicht im Film nicht so deutlich herauskamen wie im Buch, die aber fürs Verständnis der Geschichte grundsätzlich nicht relevant sind, halte ich es da wie dort für Humbug. Verlangt "Cloud Atlas" mit seinen sechs parallel verlaufenen Geschichten, die auf virtuose Art und Weise zusammengeschnitten wurden (im Gegensatz zum Buch, wo diese jeweils immer zur Hälfte erzählt wurden, und es somit immer nur einen Bruch innerhalb der Geschichte gab) nach mehr Aufmerksamkeit als der handelsübliche Blockbuster? Natürlich. Wird er jemanden mit durchschnittlichem IQ, der genug Interesse an der Handlung hat um dieser aufmerksam zu folgen, vor unüberwindbare Herausforderungen stellen? Natürlich nicht. Ich halte mich jedenfalls jetzt nicht für überdurchschnittlich intelligent, und hatte dennoch kein Problem damit, der Handlung zu folgen.
Hier hilft es zweifellos, dass wir zuerst einen kurzen Vorgeschmack aus jeder Geschichte erhalten, und dieser noch dazu weitestgehend chronologisch aufgebaut ist (mit einer Ausnahme). Dies erlaubt es uns, in jeder Handlung kurz Fuß zu fassen, die handelnden Personen einmal kennenzulernen, und erleichtert es ungemein, später beim ständigen hin und her den Überblick zu behalten. Jedenfalls halte ich die Art und Weise, wie die sechs Geschichten miteinander verknüpft wurden, für eine der größten Stärken des Films. Die Sprünge erschienen mir nie willkürlich. Vielmehr schien jeder Schnitt, jeder Schwenk, einen Sinn zu haben, und einen narrativen oder dramaturgischen Zweck zu erfüllen. Jedenfalls finde ich die Verknüpfung der Geschichten absolut meisterlich, und hoffe sehr, dass wenn schon sonst nichts zumindest der Schnitt mit einer Oscar-Nominierung bedacht wird (wenn ich mir einen solchen durchaus auch für Make-Up und Filmmusik erhoffen würde). Der Schnitt allein sollte eigentlich schon verhindern, dass man "Cloud Atlas" ernsthaft als schlechtesten Film des Jahres bezeichnen kann. Aber darüber wollten wir ja eigentlich nicht mehr sprechen. Sorry, bin grantig. Böse Times. Egal, zurück zum Film.
Wie bereits gesagt – und aus der Inhaltsangabe ersichtlich – erzählt "Cloud Atlas" sechs Geschichten, die auf bestimme Art und Weise miteinander verbunden sind. Die erste davon ist die von Adam Ewing, der zusammen mit einem befreundeten Arzt, der ihn bezüglich einer akuten Infektion behandelt, über den Pazifik reist, und die Bekanntschaft eines blinden Passagiers, eines Sklaven macht. Dieser ersucht ihn darum, beim Kapitän für ihn ein gutes Wort einzulegen – sei er doch ein kompetenter Seemann, und möchte er sich die Überfahrt mit Arbeit verdienen. Wie Adam Ewing auf diese Anfrage reagiert, wird sich für sein weiteres Schicksal als bestimmend erweisen. Insgesamt ist die Geschichte wohl nicht unbedingt etwas Besonderes, der darin vermittelte Wert von Gnade und Menschlichkeit sprach mich aber sehr an. Die zweite Geschichte handelt vom Komponisten Robert Frobisher, der ob seiner Bisexualität von seinen Eltern geächtet wird, und auch aus der Universität geflogen ist. Er möchte dem Komponisten Vyvyan Ayrs als Assistent dienen, und wird in weiterer Folge mit dem Wolkenatlas-Sextett ein wunderbares Musikstück erschaffen, welches jedoch aufgrund der Herkunft in Vergessenheit zu geraten droht. Einigen mag der Ausgang dieser Geschichte zu melodramatisch sein, mich zog sie aber von der ersten bis zur letzten Sekunde in ihren Bann. Die dritte Geschichte – rund um die Ermittlungen einer Journalistin rund um eine mögliche Vertuschung von Sicherheitsmängeln von einem Kraftwerk, dass in Kürze in Betrieb gehen soll – war für mich insgesamt die schwächste, hatte aber ebenfalls ein paar tolle Momente und denkwürdige Szenen zu bieten – wobei mir der Einstieg besonders gut gefallen hat.
Die Handlung rund um Timothy Cavendish, der irrtümlich in einem Altersheim eincheckt und danach dort festgehalten wird – und nun versucht, zusammen mit Gleichgesinnten auszubrechen – bringt einiges an humoristischer Auflockerung, und verfügt über einige der witzigsten Szenen des Films. Definitiv eine meiner Lieblingsgeschichten aus dieser "Sammlung". Mein absolutes Highlight war aber die fünfte Geschichte, rund um den weiblichen Klon Sonmi-451, die als Serviererin in einem Restaurant arbeitet. Diese Erzählung war von der ersten bis zur letzten Minute einfach nur phantastisch. Der Aufbau, mit dem Verhör, die darin versteckten Offenbarungen, z.B. was das Schicksal der Klone betrifft, der Kampf um Freiheit und Anerkennung… für mich war sie ganz klar die inspirierendste der sechs Geschichten, und jene, die mich am meisten angesprochen hat. Nichtsdestotrotz ist aber auch die sechste, die weit in der Zukunft der Menschheit angesiedelt ist, und wo Zachry gegen einen inneren Dämon ankämpft – und davon womöglich das weitere Schicksal der Menschheit abhängt – wirklich sehr gut. Vor allem auch durch die besondere Sprache, die den Menschen dort zu eigen ist, hebt sie sich deutlich vom Rest des Films ab.
Doch worum geht es denn nun in "Cloud Atlas" genau? Ich habe dazu zwar eine Meinung, behaupte aber nicht, die ultimative Wahrheit zu kennen. Für mich persönlich geht es um Selbstbestimmung, und darum, innere und äußere Einflüsse, die einen daran hindern, sein volles Potential auszuschöpfen, und einen in irgendeiner Art und Weise in der persönlichen Freiheit beschränken, zu überwinden. Ich halte dies für eine durchaus zulässige Interpretation, bin mir aber sicher, dass man ihn auch ganz anders verstehen kann. "Cloud Atlas" ist jedenfalls ein Film, der dazu einlädt, dass jeder Zuschauer seine eigene Bedeutung des Geschehens findet – auch das ist für mich eine seiner wesentlichen Stärken. Ein Aspekt, der mindestens so kontrovers aufgenommen wurde wie der Film an sich, und viele nicht überzeugen konnte, ist die Tatsache, dass die Schauspieler fast allesamt in viele verschieden Rollen schlüpfen – und das quer über alle Rassen-, Alters- und Geschlechtergrenzen hinaus. Einige fanden das wohl irritierend, und ich gebe schon zu, es sieht teilweise seltsam aus, z.B. wenn man Jim Sturgess plötzlich mit asiatischem Gesicht sieht. Mich hat es aber zu keinem Zeitpunkt gestört – im Gegenteil, es war ein weiteres Mosaiksteinchen, welches dem Film viel von seiner Faszination verliehen hat. Jedenfalls fand ich die Leistung der Make Up-Abteilung über jeden Zweifel erhaben, und absolut sensationell. Ein Lob muss auch den Regisseuren ausgesprochen werden. Tom Tykwer, Lana und Andy Wachowski haben sich die Geschichten jeweils aufgeteilt, drei wurden vom deutschen Regisseur und drei vom Geschwisterpärchen inszeniert. Dabei hat jeder der Geschichten ihren eigenen Ton, ihre eigene Identität – und trotzdem fühlt sich alles harmonisch und stimmig an. Wahrlich keine kleine Leistung. Zudem schmücken sie "Cloud Atlas" mit vielen beeindruckenden und imposanten Bildern, die noch lange nach Sichtung des Films in Erinnerung bleiben.
Die Effekte sind ebenfalls phantastisch, und geben sich keine Blöße. Ich werde noch einmal in mich gehen und mir die Filme des heurigen Kinojahres in Erinnerung rufen, aber vorerst halte ich die Spezialeffekte in "Cloud Atlas" für die diesbezüglich beste Leistung aus 2012. Und ja, das schließt "Avengers" mit ein. Die letzte wesentliche Stärke, die ich zuvor schon kurz angesprochen habe, ist die Filmmusik. Es kommt selten vor, dass es ein Film in meiner Jahreswertung weit nach vorne schafft, wenn nicht auch die Musik überzeugen kann. Der Soundtrack ist für mich einfach ein so ein wesentliches Element dessen, was Filme ausmacht, und ich denke, dass dieser insgesamt für meine Meinung zu einem Film – bzw. auch dessen Wirkung auf mich – wichtiger ist, als mir das selbst manchmal bewusst ist. Während ich diese Zeilen schreibe, höre ich mir den Soundtrack von Reinhold Heil, Johnny Klimek und Tom Tykwer an, genauer gesagt spielt es gerade wieder die Titelmelodie. Und ich bekomme sofort wieder Lust, mir den Film anzusehen. Für mich ist die Filmmusik zu "Cloud Atlas" jedenfalls einer der besten Soundtracks des so gut wie abgelaufenen Kinojahres – was durchaus passend ist, halte ich doch auch "Cloud Atlas" für einen der besten Filme, die das Kinojahr 2012 zu bieten hatte.
Fazit:
"Cloud Atlas" ist ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Film. Auf virtuose Art und Weise verknüpfen die drei Regisseure Tom Tykwer, Andy und Lana Wachoskwi, sechs Geschichten miteinander, die zwar im Wesentlichen voneinander unabhängig sind, aber doch zueinander in Verbindung stehen. Um dies zu verdeutlichen, lassen sie ihre SchauspielerInnen – eine Starbesetzung, die u.a. Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Hugo Weaving, Jim Sturgess, Doona Bae, Ben Wishaw, Keith David, James D'Arcy, Susan Sarandon und Hugh Grant umfasst – in viele verschiedene Rollen in den jeweiligen Geschichten schlüpfen, und machen dabei weder vor Rassen- noch Geschlechtergrenzen halt. Mein persönliches Highlight der verschiedenen Geschichten war jene rund um Somni-451, und jene rund um die Reporterin fiel im direkten Vergleich etwas ab, dennoch möchte ich insgesamt keine missen, und konnte mir jede Erzählung sehr gut gefallen. Zudem werden sie allesamt durch die kongeniale Art und Weise, wie man zwischen ihnen hin- und herschwenkt, aufgewertet. Die Geschichten selbst sind zwar von Ton und Inhalt her sehr unterschiedlich, ergeben aber nichtsdestotrotz ein stimmiges und faszinierendes Ganzes, dass bei genauerem Hinsehen einige thematische Überschneidungen offenbart, die Raum für Interpretationen lassen. "Cloud Atlas" ist ein Film, der sicherlich mehr Aufmerksamkeit und Beteiligung vom Zuschauer erwartet, als das beim handelsüblichen Blockbuster der Fall ist. Er lässt sich auf viele verschiedene Arten interpretieren, und lädt den Zuschauer dazu ein, ihre/seine individuelle Bedeutung zu finden. Der phantastische Soundtrack, die stilvolle Inszenierung voller wunderschöner Bilder und Einstellungen, die tollen schauspielerischen Leistungen sowie die imposanten Spezialeffekte machen das moderne Genre-Meisterwerk dann schließlich perfekt. Für mich war "Cloud Atlas" jedenfalls ein ungemein beeindruckender und außergewöhnlicher Film, der aufzeigt, welches großes Potential in dieser Kunstform steckt – wenn man dazu bereit ist, dieses auch auszuschöpfen.
Wertung:10 von 10 Punkten
Christian Siegel
Review von Michael Spieler:
David Mitchells literarisches Kaleidoskop "Der Wolkenatlas" von 2004 erfährt nun die Übersetzung auf das Medium Film, wobei seine ungewöhnliche Erzählstruktur komplett erhalten bleibt und das Ergebnis wohl am anschaulichsten als Episodenfilm beschrieben werden kann. Dennoch unterscheidet er sich von anderen Vertretern dieser Art von Film dadurch, dass seine einzelnen Episoden sowohl räumlich als auch zeitlich extrem voneinander getrennt sind. Andere Episodenfilme zeigen oft zeitlich parallele Handlungsstränge in einer Stadt oder anderem eingegrenzten Gebiet, "Cloud Atlas" ist dagegen völlig ungebunden. Nicht nur wechselt die Handlung ihren Ort, sie überspringt auch Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Im Film bedient man sich eines genialen Mittels um die einzelnen Erzählungen miteinander zu verbinden, dass das Buch so nicht nahelegt. Nicht nur gibt es dieselben Überschneidungen wie im Buch - dass einer, aus einer Epoche, das Buch des anderen aus der Vorhergehenden liest – nein, man entschied sich dazu, das Ensemble einfach in allen Epochen in unterschiedlichen Rollen auftreten zu lassen.
Damit gleicht der Film etwas aus, was man aus dem Buch nur schwer übernehmen kann: Jede der sechs Geschichten ist in einer anderen Form geschrieben (daher das Kaleidoskop). Man hat es dort mit Tagebucheinträgen, Briefen, einem Kriminalroman, Memoiren, einem Protokoll und einer mündlichen Überlieferung zu tun. Alle diese Elemente tauchen natürlich auch im Film auf, aber der jeweils andere Schreibstil des Buchabschnittes fehlt. "Cloud Atlas" ist sehr nah am Originalmaterial, da haben sich die Wachowskis und Tom Tykwer, beim Verfassen des Drehbuches, allergrößte Mühe gegeben. Der Film selbst war für mich ein unglaubliches Kinoerlebnis. Selten wird man wirklich derart mitgerissen und weiß von der ersten Minute an, dass man es hier mit einem zukünftigen Kinoklassiker zu tun haben wird. Für mich ist "Cloud Atlas" da oben neben "Blade Runner", "Krieg der Sterne" und "Der Herr Der Ringe", sofort zu einem Lieblingsfilm geworden, obwohl er mit diesen nur wenig gemein hat, da er nicht einfach nur ein Film eines Genres ist. Andere beschrieben den Film als Kunstwerk, aber das, finde ich, schafft eine unnötige Distanz zwischen Betrachter und Werk. Der Film ist die große Erzählung über unsere gesamte Zivilisation – ihre Anfangsphase, ihr bewegtes Leben und ihr mögliches Ende. Das Leben und Sterben seiner Charaktere spiegelt denselben Ablauf im Kleinen wieder - dieselben Motive wiederholen sich, womit die Prämisse des Films erfüllt wird. Manch einem mag die Message des Films durch eine gewisse Redundanz zu holzhammermäßig daherkommen, ich fand das gehörte einfach dazu, um nicht einfach nur sechs beliebige Geschichten erzählt zu bekommen. Ein anderes hervorstechendes Merkmal für mich, waren die – für heutige Maßstäbe – außergewöhnlich ausgedehnten und häufigen inneren Monologe der Charaktere. Wird man sonst oft mit der Gedankenwelt alleingelassen, bzw. wird sich überhaupt keine Zeit für die Motivationen von Figuren genommen, nimmt man sie sich hier und es soll dem Film nicht zum Nachteil gereichen.
Einzelne Leistungen herauszustellen fällt mir bei diesem Ensemble-Film schwer, obwohl ich am Eindrucksvollsten wohl die Präsenz der koreanischen Schauspielerin Doona Bae ("The Host") fand, die in ihrer Hauptrollen-Rolle der Sonmi-451, die größte Transformation hinlegt. Transformation ist ein gutes Stichwort, denn die Darsteller wechseln ja je Epoche die Rolle und damit manchmal auch Geschlecht und Hautfarbe. Dies ist auch der einzige Kritikpunkt, der eigentlich gar keiner ist. So erkennt man in einigen Fällen durchaus die nicht perfekte Maske, wodurch es besonders in einem Fall unfreiwillig(?) komisch wirkt, was allerdings auch zu dem Rahmen, in dem die erzählte Geschichte abläuft, passt. Man erwischt sich dabei, die Darsteller in den Epochen zu suchen und die Maske ist in mindestens genausvielen Fällen absolut gelungen. Auch wenn Tom Hanks ("Extrem laut und unglaublich nah") und Halle Berry ("Happy New Year") im medialen Rampenlicht stehen, gehört den anderen Leinwandpaarungen ebensoviel Aufmerksamkeit und Anteil am Gesamtwerk.
Die Charaktere sind in Gruppen aufgeteilt oder viel mehr: die Darsteller übernehmen immer ähnlich angelegte Charaktere. Da gibt es solche die immer gut sind, solche die immer böse oder zwielichtig erscheinen und solche, deren Schicksal sich von Epoche zu Epoche wandelt. Denn jedes Verbrechen und jeder Akt der Güte, bestimmt ihre Zukunft. Eine Zukunftsvision, in der – ohne zu viel zu verraten - der Einfluss der Wachowskis auf den Film deutlich wird, denn einige Motive sind fast 1:1 aus "Matrix" übernommen, nur ohne virtuelle Welt und Maschinen. Die Musik passt wie die Faust aufs Auge (den Soundtrack gibt es derzeit für knapp 5€ im Amazon MP3-Store) und man hat mit dem Wolkenatlas-Sextett ein wunderschönes ruhiges Motiv geschaffen, dass zu den visuellen Verbindungen zwischen den Epochen ein auditives hinzufügt. Das Leipziger Symphonieorchester des MDR muss sich nicht hinter den Londoner oder Wiener Philharmonikern verstecken. Es gab einige Filme, mit denen "Cloud Atlas" verglichen werden wird (ich tue es jedenfalls hier), sei es "The Fountain" oder "The Tree Of Life" - alle die Geschichten, die versuchten, eine Geschichte zu vermitteln, die größer ist, als das Gezeigte (die Summe der einzelnen Teile). Allerdings fehlte mir bei diesen Werken der Zugang und sie kommen damit für mich automatisch in die Kategorie Kunstwerk, denn es gibt definitiv eine Barriere zwischen diesen Filmen und dem Betrachter (mir). "Cloud Atlas" ist sehr viel direkter und erlaubt dem Betrachter sich mit den Figuren zu identifizieren. Die Figuren der anderen Filme waren nie so richtig greifbar noch wirkten sie real. "Cloud Atlas" erzeugt dieses Gefühl Teil von etwas Größerem zu sein, nicht mit belanglosen wild interpretierbaren Filmaufnahmen von spielenden Kindern oder Türrahmen nebst Dinosaurier-Doku, sondern mit für sich handfesten Teilen, mit echten Menschen und nicht diesen entrückten Gestalten von Aronofsky oder Malick.
Fazit:
"Cloud Atlas" gehört definitiv zum Besten, was das Kino 2012 zu bieten hat und für mich auch zum Besten das jemals über die Leinwand flimmerte. Dass es eine vorwiegenden deutsche Produktion ist fällt nur selten (durch ein paar Nebendarsteller) auf und ist auch nur die halbe Wahrheit. Der Production Value, also die Wertigkeit der Produktion, könnte von Hollywood kaum überboten werden. An den Effekten waren – inzwischen normal für eine Produktion dieser Größenordnung - zwölf Effekt-Studios beteiligt, die auf der ganzen Welt verteilt sind. Während die Innenaufnahmen tatsächlich in Babelsberg gemacht wurden und so ziemlich jede(r) deutsche Filmförderanstalt/-fond Geld locker gemacht hat, fanden auch in Großbritannien und Spanien umfangreiche Aufnahmen statt. Es ist also eher eine Deutsch-Britische-Spanische Koproduktion. Jedenfalls: tut euch selbst einen Gefallen und schaut diesen Film.
Wertung:10 von 10 Punkten
Michael Spieler
Review von tubbacco:
Gibt es überhaupt noch sowas wie unverfilmbare Bücher? Nachdem es Peter Jackson als prominentestes Beispiel schon gelungen ist, versuchen nun die Wachowski Geschwister und Tom Tykwer diese Frage mit einem "Nein" zu beantworten. Mit fast grenzenlosen Budgets und den heutigen Möglichkeiten unseres digitalen Zeitalters könnte man meinen, dass letzten Endes nur noch die eigene Fantasie den Filmemachern Grenzen auferlegt. Mit "Cloud Atlas" stand das Regie-Trio jedoch vor der recht einzigartigen Aufgabe, sechs unterschiedliche, durch Zeit und Raum getrennte Geschichten, die auf den ersten Blick bestenfalls thematische Verbindungen aufzuweisen scheinen, unter einen Hut zu bringen und das überwiegend ohne die finanzielle Unterstützung eines großen Studios. Schon allein für den Versuch könnte man den Verantwortlichen Respekt zollen. Umso besser, wenn sich der Film dann auch noch sehen lassen kann, obwohl das Ergebnis der jahrelangen Arbeit natürlich nicht gänzlich ohne Fehler auskommt und im Vergleich zur Vorlage hier und da für meine Begriffe eine Nuance zu viel verliert.
Der Film bricht dabei die Erzählstruktur des Buches auf. Anstatt die sechs Geschichten wie in der Vorlage in Hälften geteilt und um ein Zentrum gespiegelt zu erzählen, werden diese in der Verfilmung überwiegend linear nebeneinander abgehandelt. Das hat zur Folge, dass der Film teilweise munter durch Zeitalter, Genres und zwischen den Figuren hin und her springt, was vom Zuschauer nicht nur viel Aufmerksamkeit fordert, sondern sich mitunter auch als Geduldprobe erweisen kann. So wechseln sich die leisen, gefühlsbetonten Frobisher-Szenen mit einer actionreichen Flucht durch Neo Seoul ab, die vor Klischees triefenden, aber trotzdem auf ihre Art spannenden Ermittlungen Luisa Reys werden von urkomischen Versuchen Timothy Cavendishs aus dem Altenheim auszubrechen unterbrochen und die Behandlungen von Adam Ewing durch Dr. Henry Goose werden mit der Reise des Neo-Barbaren Zachry und Meronym, inklusive kindlicher Stummeldialoge, die zum Glück nicht auf das Niveau der Gungan-Sprache aus Star Wars abgleiten, vermischt. Das klingt nach einem wilden Durcheinander und hin und wieder verkommt "Cloud Atlas" auch dazu, aber wenn man sich als Zuschauer darauf einlassen kann, die sechs Geschichten als Stränge einer einzigen zu betrachten, dann gelingt es dem Film meiner Meinung nach durchaus an den wichtigen Stellen thematisch mittels des Schnitts, der Musik oder den Darstellern zu den anderen Segmenten überzuleiten und Verbindungen aufzubauen.
Um den Überblick zu wahren hilft die Mehrfachbesetzung der Darsteller ungemein, die sich nicht nur über die dargestellten Zeitalter erstreckt, sondern auch nicht vor Herkunft und Geschlecht halt macht oder auf das Gut-Böse-Schema beschränkt ist. Zwar sehen einige Kreationen - insbesondere in Neo Seoul – auf den ersten Blick etwas gewöhnungsbedürftig aus, funktionieren dann aber in Bewegung doch erstaunlich gut. Überwiegend hat die Make-up Abteilung eine fantastische Arbeit abgeliefert, die Charaktere der einzelnen Abschnitte ein überzeugendes Aussehen zu geben und trotzdem noch die Darsteller unter ihrer Maske erkennbar sein zu lassen – zumindest dort, wo es gewollt ist. Während des Abspanns, bei dem nochmal alle Darsteller in allen ihren Rollen mit Make-up gezeigt werden, ist ein allgemeines Staunen aus 'Ah! Der war das.' und 'Das hätte ich nicht gedacht.' beim Publikum im Kinosaal so gut wie sicher.
Die größte Stärke von "Cloud Atlas" sind die in ihren zahlreichen Rollen großartig aufspielenden Darsteller. Jim Broadbent hat im "Grausigen Martyrium des Timothy Cavendish" alle Lacher auf seiner Seite. Jim Sturgess überzeugt als gemarterter Anwalt des 19. Jahrunderts ebenso wie als kampferprobte Beschützer von Sonmi-451 im zukünftigen Korea. Doona Bae ist gleichmaßen zerbrechlich wie ein moralischer Fels in der Brandung. Hugo Weavings Old Georgie bleibt im Gedächtnis. Tom Hanks erinnert nicht zuletzt daran, weshalb er bisher zwei Oscars als bester Darsteller mit nach Hause nehmen durfte. Und wann konnte man schon mal Hugh Grant als fiesen Kannibalenhäuptling erleben? Letzten Endes halte ich "Cloud Atlas" aber nicht für einen wahnsinnig tiefsinnigen Film, zu dem er teilweise stilisiert wird. Die Handlungen der sechs Segmente sind im Prinzip sehr simpel, geradlinig und teilweise altbekannt. Mehrmals hatte ich das Gefühl, dass einige Szenen nicht bis zu Ende ausgespielt wurden und an einigen Stellen ging gegenüber der Vorlage Subtext verloren, während an anderer Stelle die altruistische Aussage dem Publikum etwas zu platt um die Ohren gehauen wird. "Cloud Atlas" ist für mich optisch berauschendes und darstellerisch überzeugendes Unterhaltungskino mit einer ziemlich einzigartigen und vor allem fordernden Erzählweise, die aber nicht immer den richtigen Ton trifft und manche Noten schlicht verschluckt.
Fazit:
Die größte Überraschung meiner Meinung nach ist nicht, dass überhaupt versucht wurde David Mitchells Roman zu verfilmen, sondern wie viel dessen davon in der Umsetzung schließlich funktioniert. Zwar hält nicht jede Szene einer Sezierung stand, trotzdem schafft es "Cloud Atlas" an den wichtigen Stellen in allen sechs, überwiegend durch Raum und Zeit getrennten Geschichten thematisch überzuleiten und Verbindungen erahnen zu lassen. Ob sich daraus ein großes Ganzes ergibt oder ob man quasi nur sechs Filme zum Preis von einem parallel schaut und wenn das der Fall sein sollte, überhaupt etwas Schlechtes ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.