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An American Crime Drucken E-Mail
Horror-Drama nach einer wahren Begebenheit Kategorie: Filme - Autor: Christian Siegel - Datum: Montag, 22 Oktober 2012
 
Halloween SPECiAL 2012

An American Crime
(An American Crime, USA 2007)
 
An American Crime
Bewertung:
Studio/Verleih: Killer Films/Alive
Regie: Tommy O'Haver
Produzenten: U.a. Jocelyn Hayes, Katie Roumel & Henry Winterstern
Drehbuch: Tommy O'Haver & Irene Turner
Filmmusik: Alan Ari Lazar
Kamera: Byron Shah
Schnitt: Melissa Kent
Genre: Drama/Horror
DVD-Release Deutschland: 16. Mai 2008
Erstausstrahlung USA: 10. Mai 2008
Laufzeit: 97 Minuten
Altersfreigabe: Ab 16 Jahren
Trailer: YouTube
Kaufen: Blu Ray, DVD
Mit: Ellen Page, Catherine Keener, Hayley McFarland, Scout Taylor-Compton, Nick Searcy, Romy Rosemont, Ari Graynor, Tristan Jarred, Hannah Leigh, Bradley Whitford, Michael O'Keefe, Charlie Westerman u.a.


Kurzinhalt: Indiana im Jahr 1965: Um ihre angespannte finanzielle Situation etwas zu erleichtern, erklärt sich die Hausfrau und mehrfache Mutter Gertrude Banizewski dazu bereit, die beiden Kinder Sylvia und Jennie gegen Geld bei sich aufzunehmen, während deren Eltern mit einer Karnevaltruppe durch die USA reisen. Doch Konflikte innerhalb des nun noch größeren Haushalts führen schon bald dazu, dass sich Gertrudes aus ihrer Verzweiflung geschürter Hass zunehmend gegen Sylvia richtet…

Review: Sylvia Likens wird das Opfer einese unfassbaren Verbrechens.Lasst mich zu Beginn gleich eines klarstellen: "An American Crime" ist definitiv mehr Drama als Thriller. Der Horror ist eher subtiler Natur, und entsteht in erster Linie aufgrund der Eskalation der Geschehnisse – sowie dem Wissen, dass es sich hier um die Nacherzählung von Ereignissen handelt, die sich tatsächlich so zugetragen haben. Eigentlich habe ich mittlerweile ja eine Aversion gegen diese "Based on a true story"-Einblendung aufgebaut. Allzu oft scheint diese nur dazu zu dienen, den nachfolgenden Ereignissen Gewicht zu verleihen und den Film dadurch besser zu machen, als er eigentlich ist. Was sich oftmals als Trugschluss herausstellt, da keine Einblendung der Welt einen schlampig gemachten Film aufwerten kann. Vom Trend, jede noch so weit hergeholte und nur rudimentär vorhandene Verknüpfung zu realen Ereignissen gleich mit "based on a true story" zu bewerben, ganz zu schweigen. Ich muss allerdings gestehen – bei "An American Crime" hat dies ausnahmsweise wirklich einmal funktioniert. Denn vieles von seinem Schrecken verdankt er unserem Bewusstsein, dass sich diese Tragödie tatsächlich vor knapp 50 Jahren so ereignet hat.

Eine Entscheidung, der ich zwiespältig gegenüberstehe, ist Tommy O'Havers fast vollständiger Verzicht auf eine graphische Darstellung der von Sylvia durchlittenen Tortur. Er lässt den Horror im Kopf abspielen, und vermeidet so den Vorwurf, die Tragödie auszuschlachten. Dennoch bin ich der Ansicht, dass "An American Crime" angesichts des Verbrechens, das er schildert, doch etwas zu harmlos und milde geraten ist. Dabei geht es mir weniger um Blut und explizite Gewaltdarstellung, als darum, dass uns O'Havers nur sehr ausschnittsweise jenen Missbrauch zeigt, den Sylvia erdulden musste – und es uns daher nur bedingt möglich ist, die Tragweite ihres Leidens zu begreifen und nachzuvollziehen. Ein gutes Beispiel, wie es möglich gewesen wäre, den Zuschauer stärker zu schockieren und zu verstören, ohne deswegen unbedingt expliziter werden zu müssen, ist die Szene mit der Colaflasche. Neben der "Tätowierung" war es für mich die erschreckendste Szene des Films, vor allem auch wegen der damit einhergehenden Erniedrigung, die Sylvia ertragen musste. Anstatt uns einfach nur zu sagen, dass sie über einen Zeitraum von zwei Wochen regelmäßig geschlagen, gefoltert und mit brennenden Zigaretten malträtiert wurde, hätte er uns dies lieber – gerne auch ebenfalls nur angedeutet – zeigen sollen. Als weiteres Problem erweisen sich die Szenen aus der Gerichtsverhandlung. Durch diese Rückblicke auf die Ereignisse entsteht meines Erachtens eine Distanz zum Geschehen, die bis zum Zuschauer durchschlägt. Zumal diese Szenen – bis auf die Aussage von Gertrude, die man aber auch so ans Ende des Films hätte stellen können – überwiegend überflüssig erscheinen, und die Chance ungenutzt verstreichen lassen, einen Einblick in die Protagonisten zu geben und ihr Handeln ansatzweise begreiflich zu machen und/oder eine Erklärung dafür zu liefern. Denn mehr als ein "Ich weiß nicht, warum ich das getan habe" haben die meisten ohnehin nicht beizutragen.

Catherine Keener und Ellen Page sind in den Hauptrollen einfach nur phantastisch.Ich will jetzt aber "An American Crime" auch nicht schlecht reden – ich finde halt nur einfach, dass er es uns schon fast etwas zu leicht macht, ihn sich anzusehen, und hätte es vorgezogen, wenn uns der Regisseur weniger geschont hätte. Dennoch vermag er es auch in dieser Form durchaus, zu verstören. Zumindest bei mir lag das sogar irgendwie weniger an Gertrude selbst als allen um sie herum. Denn dass einzelne Menschen zu grauenvollen Taten fähig sind, ist ja leider fast tagtäglich in den Nachrichten nachzulesen. Aber vor allem die Art und Weise, wie schnell hier manche in ihrem Umfeld zu Mittätern werden – von den potentiellen Mitwissern wie den Nachbarn oder dem Priester, die es vorziehen, die Hinweise dass sich in dem Haus etwas Abscheuliches abspielt zu ignorieren und sich nicht einzumischen, mal abgesehen – fand ich ungemein erschreckend. Man fragt sich, was hätte man selbst in dieser Situation getan? Hätte man ebenfalls mitgemacht? Oder hätte man das richtige getan, sich geweigert und die Polizei verständigt – auch auf die Gefahr hin, neben Sylvia zu landen und das gleiche Leid erdulden zu müssen?

Doch es sind nicht nur die Täter, auch das Verhalten von Sylvia verstört. Als sie und ihre Schwester das erste Mal von Gertrude den Gürtel zu spüren bekommen, meint sie lapidar zu Jennie, es wäre ja nicht so, als wären sie noch nie geschlagen worden. Trotz aller weiterer Erniedrigungen und Misshandlungen kommt es ihnen nie in den Sinn, abzuhauen, oder sich an die Polizei zu wenden. Tommy O'Haver zeigt hier auf erschreckende Art und Weise auf, zu welchem Gefühl der Machtlosigkeit, ja fast Gleichgültigkeit, die systematische Unterdrückung von Menschen führen kann. Dass es ihm auch ohne Blut, grausige Details und nur mit sehr wenigen Ausschnitten der Folter und Tortur, die Sylvia ertragen musste, gelingt, zu schockieren, verdankt er auch zu einem nicht wesentlichen Teil seinen Hauptdarstellerinnen. Ellen Page ist einfach nur phantastisch, und überzeugte hier nach "Hard Candy" nun in der genau gegenteiligen Rolle, nämlich jener des Opfers. Auch von der später zur Schau gestellten Frech- und Fröhlichkeit einer "Juno" ist sie hier weit entfernt. Es ist eine schockierend unterwürfige Performance; fast gleichgültig scheint sie die Misshandlungen zu ertragen, fast so als hätte sie mit ihrem Leben in dem Moment, als sie in den Keller geworfen wurde, abgeschlossen. Grandios auch Catherine Keener, die hier in einer für sie sehr untypischen Rolle zu sehen ist. Ich würde niemals so weit gehen zu behaupten, sie würde für ihre Gertrude Sympathie wecken, aber von allen Tätern ist sie die Einzige, die Gelegenheit bekommt, ansatzweise zu versuchen, ihr Verhalten zu erklären – angesichts ihrer Depression und Verzweiflung. Zuletzt möchte ich auch noch kurz – ohne zu spoilern – auf das Ende eingehen. Einerseits sorgt man hier für einen emotionalen Abschluss, und erhöht die schockierende Wirkung des Ausgangs des Films. Andererseits reist man aus den sehr realen Ereignissen zuvor ins Reich der Phantasie, was doch einen gewissen Bruch darstellt und dem "Based on a true story"-Gedanken zuwiderläuft. Ein etwas bodenständigerer Ausklang wäre der Intention des Films womöglich näher gekommen.

Fazit: Ist für Sylvia endlich das Ende der Tortur gekommen?"An American Crime" erzählt unaufgeregt, ja nahezu nüchtern, von einem erschütternden Verbrechen. Getragen von den beiden glänzenden Hauptdarstellerinnen, entfaltet sich vor dem Zuschauer eine Tragödie, die - vor allem aufgrund der Tatsache, dass sie auf einer wahren Begebenheit beruht - fassungslos macht. Tommy O'Havers unvouyeuristischer Zugang erweist sich dabei sowohl als Fluch wie auch als Segen. Einerseits vermeidet er auf diese Weise, dass man ihm die filmische Ausschlachtung einer menschlichen Tragödie vorwirft - und im Endeffekt mehr über den Film als dem ihm zugrundeliegenden Verbrechen diskutiert -, andererseits fehlt es "An American Crime" dadurch aber an der letzten Konsequenz. Der Gedanke, dass sich dies in der realen Welt tatsächlich so zugetragen hat, ist letztendlich verstörender als der Film selbst. Somit ist O'Havers zwar damit erfolgreich, der Tortur, die Sylvia durchleiden musste, zu gedenken, und uns diesen erschütternden Fall wieder in Erinnerung zu rufen - schafft es aber nur bedingt, ihr unvorstellbares Leiden vorstellbar zu machen.

Wertung:7 von 10 Punkten
Christian Siegel
(Bilder © 2008 Alive


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