Mit: Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston, Albert Brooks, Oscar Isaac, Christina Hendricks, Ron Perlman u.a.
Kurzinhalt:
"Sie nennen mir Zeitpunkt und Ort, ich gebe Ihnen ein Zeitfenster von fünf Minuten. Wenn innerhalb dieser fünf Minuten was schief geht, gehöre ich Ihnen – ohne Wenn und Aber. Ich werde mich nicht an dem Überfall beteiligen, oder eine Waffe tragen. Ich fahre." So lauten die Bedingungen von "Driver", der tagsüber als Stuntfahrer und Automechaniker tätig ist, und in der Nacht als Fluchtfahrer auf den Straßen von Los Angeles den Gangstern der Stadt zur Verfügung steht. Er ist sehr still und lebt in seinem Apartment auch sehr zurückgezogen – was sich jedoch zunehmend ändert, als er seine hübsche Nachbarin Irene und dessen Sohn Benicio näher kennenlernt. Doch gerade als er ein ruhigeres, besinnlicheres und friedlicheres Leben für ihn in greifbare Nähe zu rücken scheint, bringt ihn ein missglückter Überfall, durch den er in das Schussfeld der Mafia gerät, in größte Gefahr…
Christian Siegel
Review von Christian Siegel:
Ich möchte eure Erwartungshaltung ja wirklich nicht in unerfüllbare Höhen schrauben, aber… mich hat "Drive" absolut begeistert. Wäre er auch hierzulande – wie in fast allen zivilisierten Ländern dieser Welt – bereits letztes Jahr in die Kinos gekommen, wäre er trotz der überaus starken Konkurrenz ein ernsthafter Kandidat für den besten Film des Jahres gewesen – und ist für mich nun in 2012 jener Film, an dem sich alle anderen Messen werden müssen. Und das, obwohl ich vom bisher einzigen Film, den ich von Nicholas Winding Refn gesehen habe, nämlich "Walhalla Rising", sehr enttäusch war; empfand ich diesen doch als ziemlich einschläfernd. Die Eleganz und Klasse einer Inszenierung war zwar auch dort unbestreitbar, aber meines Erachtens war einfach inhaltlich das Material nicht da, dass es gebraucht hätte, um mich gut zu unterhalten – vom Terrence Malick Konkurrenz machendem Schwelgen in einigen Bildern und Momenten ganz zu schweigen. "Walhalla Rising" war Stil ohne jegliche Substanz – "Drive" bietet hingegen die perfekte Verschmelzung beider Elemente.
Gleich vorweg: "Drive" ist kein reiner Actionkracher und auch kein Thriller, der von der ersten bis zur letzten Minute Hochspannung liefert. Er ist mindestens ebenso Drama und Charakterstudie. Wer also einen "Fast & Furious"-Film erwartet (wie jene junge Dame die den Filmverleih für den irreführenden Trailer verklagt hat -> klick), wird enttäuscht werden. Allen anderen bietet er eine höchst gelungene, begeisternde Mischung verschiedenster Genre-Elemente und einen spannenden, charakterorientierten Actionthriller, der über reines belangloses Tschinnbummkrach hinausgeht. Schon allein die Einstiegsszene, die uns den Fahrer bei einem Einsatz zeigt, ist grandios. Perfekt wechselt Regisseur Nicolas Winding Refn zwischen Aufnahmen direkt aus dem Auto heraus und wunderschönen, übersichtlichen "Luftaufnahmen", und schafft es, eine ungeheure Spannung zu verströmen. Der Film ist noch keine 5 Minuten alt, und schon hat uns Refn im spannungstechnischen Würgegriff. Nach 15-20 Minuten glaubt man dann, zu wissen wo sich die Handlung hinbewegt – nur um diesbezüglich ein aufs andere Mal "enttäuscht" – oder sagen wir besser: überrascht – zu werden. Die wendungsreiche Handlung, die einige – zumidest für mich – unerwartete Wendungen genommen und Haken geschlagen hat, ist jedenfalls, auch wenn sie sicherlich nicht gerade Originalität und/oder Tiefgang verströmt, zu den Stärken zu zählen.
Inszenatorisch ist "Drive" ein herrlich altmodischer Film, der so aussieht – und klingt! – wie ein Werk der 80er/frühen 90er. Das beginnt schon beim retro-Titelschriftzug und setzt sich bei Inszenierung, Optik und Klang fort – und schlägt teilweise auch auf die Handlung durch; weckt der stille Held doch Erinnerungen an Genre-Klassiker wie "Bullit" und "Fluchtpunkt San Francisco". Stilistisch hat er mich vor allem an die Filme von Michael Mann erinnert. "Leben und Sterben in L.A.", "Heat" (wenn auch ohne einen gleichwertigen Gegner), bzw. teilweise in den Nachtaufnahmen von L.A. (mit der satten Farbgebung) auch noch "Collateral". Wenn sich nicht hin und wieder moderner Schnickschnack wie ein Smartphone im Hintergrund finden würde, könnte man genauso gut meinen, "Drive" würde nicht einfach nur wie ein Film der 80er aussehen, sondern auch in dieser Epoche spielen. Doch solche Details finden sich stets nur im Hintergrund – an der Oberfläche bemüht sich "Drive" ständig, das Moderne – und damit eine zu starke Verwurzelung in der Gegenwart – zu vermeiden, was ihm eine bestechende zeitlose Qualität verleiht.
Was Nicholas Winding Refn dabei vor allem sehr gut einfängt, ist die Atmosphäre. "Drive" ist ein sogenanntes "mood piece", der sich viel Zeit nimmt, um in den Bildern und einer ganz bestimmten Stimmung zu schwelgen. Einigen wird dadurch die Erzählweise zu langsam und der Film zu unspektakulär sein – meinen Geschmack hat er damit hingegen (da im Gegensatz zu "Walhalla Rising" diesmal dadurch nicht die akute Inhaltsarmut kaschiert werden sollte) genau getroffen. Gleiches gilt für die Inszenierung der Actionszenen, wo Nicholas Winding Refn mit einigen außergewöhnlichen inszenatorischen Entscheidungen aufwartet (allen voran beim Showdown, der dadurch auf mich enorme Spannung entfalten konnte), die einigen vor den Kopf stoßen könnte. Generell ist die Grundstimmung des Films sehr von der Lethargie seines Titelhelden geprägt – was jedoch jene Momente, in denen diese jäh durch brutale (und schonungslos in Szene gesetzte; nicht umsonst hat die FSK "Drive" mit einer "Ab 18"-Wertung bedacht) Gewalt unterbrochen wird, nur um so überraschender, schockierender und aussagekräftiger macht. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das schonungslose Sounddesign, welches mich in der einen oder anderen Szene zusammenzucken ließ. Auch abseits der Gewalt gab es zahlreiche großartige, denkwürdige magische Momente, wobei vor allem der Kuss im Aufzug – ein kurzer Moment des Friedens, der Ruhe und Geborgenheit – besticht.
Ganz kurz habe ich ihn bereits angesprochen, nun möchte ich noch etwas näher auf ihn eingehen: Den absolut grandiosen Soundtrack, bei dem man angesichts der perfekt ausgewählten und nicht minder perfekt platzierten Pop-Songs nicht umhin kommt, ihm (mindestens) das Prädikat "cool" zu verleihen. "Nightcall", "Under your Spell" und "A Real Hero" sind absolute Ohrwürmer, die vor allem mit ihrem 80er Retro-Klang bestechen. "Oh My Love" ist der Außenseiter auf der CD, und passt überhaupt nicht zum Rest des Soundtracks, aber genau darin – und der kongenialen Platzierung innerhalb des Films – liegt dann auch wieder sein Reiz. Nicht weniger gelungen als die enthaltenen Songs ist auch die Filmmusik von Cliff Martinez, welches mit einer perfekten Mischung aus peitschend-spannenden Tönen und ruhigen bis hin zu romantischen Klängen überzeugen. Und falls ihr meiner Einschätzung partout nicht glauben schenken wollt – in diesem YouTube-"Video", welches ein Preview des Soundtracks bietet – könnt ihr euch selbst von seiner Klasse und seinem Kultcharakter überzeugen!
Zuletzt muss ich mich auch noch den Schauspielern widmen. Ryan Gosling bestätigt in "Drive" zum wiederholten Mal, dass er der möglicherweise vielversprechendste und talentierteste Jungstar seiner Generation ist. Mit wenigen Worten, aber in Mimik, Gestik und vor allen Augen ungemein ausdrucksstark, vermittelt er stets die Gedanken und die Gefühle seines wortkargen Helden, und verleiht ihm zudem die notwendige Portion Charisma und Coolness. Carey Mulligan vermag hier aufgrund ihrer Rolle nicht ganz so zu glänzen wie in früheren Filmen, ist aber wieder einmal absolut bezaubernd – man versteht, warum Driver so viel daran gelegen ist, sie und ihren Sohn zu beschützen. Neben den beiden Hauptdarstellern vollbringt Albert Brooks in einer für ihn untypischen Rolle die wohl beste Leistung des Films – für die eine Oscar-Nominierung hochverdient gewesen wäre. Er ist – passend zum Helden – ein zwar sehr stiller, aber nichtsdestotrotz sehr bedrohlicher Bösewicht. Ebenfalls nicht vergessen werden darf Bryan Cranston als Driver's Arbeitgeber, Unterstützer und Mentor. In kleineren, aber ebenfalls wichtigen Nebenrollen sind dann noch Oscar Isaac, Christina Hendricks und Ron Perlman zu sehen. Jedenfalls… auch wenn die schauspielerischen Leistungen nicht die größten Stärken des Films sein mögen – dies ist und bleibt nämlich in erster Linie Nicholas Winding Refn's Inszenierung – so tragen sie nichtsdestotrotz einen großen Anteil zum Gelingen dieses phantastischen Films bei.
Fazit:
Ich muss ja gestehen, trotz der ganzen Vorschusslorbeeren mit einer (gesunden?) Portion Restskepsis in den Film gegangen zu sein, da ich "Walhalla Rising" so einschläfernd fand – "Drive" ist aber ganz anders, und ein perfektes Aufeinandertreffen von "style" und "substance". Alles an dieser nostalgischen Fahrt durch die Straßen von Los Angeles ist absolut erstklassig: Die schauspielerischen Leistungen – vor allem von zwei der beiden vielversprechendsten Jungstars Hollywood, Ryan Gosling und Carey Mulligan –, der herrlich coole retro-Soundtrack, die wendungsreiche Handlung… die größte Stärke ist aber sicherlich Nicolas Winding Refn's unheimlich elegante und stilvolle Inszenierung, welche nicht nur durch die kalte Optik und die satte Farbgebung der Nachtaufnahmen besticht, sondern auch die (wenigen) Ausbrüche brutaler Gewalt perfekt akzentuiert. Zusammen mit "The Artist" (der sich jedoch an eine etwas andere, noch nostalgischere und speziellere Zielgruppe richtet) ist "Drive" jedenfalls das erste große cineastische Highlight des Jahres. Ein Film mit Kultcharakter, ein modernes Meisterwerk des Genres – und damit vor allem für Fans des Action- und/oder Thriller-Kinos der 80er und frühen 90er ein absoluter Pflichttermin!
Wertung:10 von 10 Punkten
Christian Siegel
Review von Michael Spieler:
Acht Monate nachdem der Film in Cannes Premiere feierte und fast auf auf der ganzen Welt schon wieder aus den Kinos ist, kommt er nun doch tatsächlich noch nach Deutschland. Für mich völlig unverständlich, da dieser Film eine echte Perle darstellt - ein Film wie ich ihn schon lange nicht mehr erleben durfte. Die geniale Mischung aus Grindhouse-Pulp, hartem Mafiastreifen und James-Dean-Roadmovie saugte mich mit den ersten Takten von "Nightcall" von Kavinsky & Lovefoxx und rosanem-80s-Schriftzug, a la "Footloose" oder "Dirty Dancing", voll in seinen Bann. Ryan Gosling passt perfekt in die Rolle des ruhelosen Adrenalinjunkies, der Kontakte so weit es geht meidet. Er ist kein Gangster im eigentlichen Sinne, er macht was er tut nicht, weil er das Geld braucht, sondern weil er es kann und am Ende wird er fast zu einer Naturgewalt, mit der niemand gerechnet hat - "A Real Hero", wie College & Electric Youth ihn besingen. So muss er nicht nur sich selbst vor dem Mob schützen, sondern auch Irene (Carey Mulligan, "Alles, was wir geben mussten") und ihren Sohn. Fahrers Chef Shannon (Bryan Cranston, "Breaking Bad") hat eigentlich großes mit ihm vor. Er will ihn mit dem Geld des Outfits aus der Werkstatt auf eine echte Rennstrecke bringen. Pläne, die die beiden Bosse Bernie (Albert Brooks, "Ein ungleiches Paar") und Nino (Ron Perlman, "Conan") durchaus unterstützen, bis sie einen Sündenbock brauchen, und alles den Bach runtergeht.
Mich überraschte die visuelle Brutalität, die nach dem Raub den Film bestimmt. Sie war ein scharfer Kontrast zu dem bis dahin eher ruhigen, zurückhaltenden Verlauf des Films, eine Wendung mit der man so trotz allem nicht in dem Ausmaß rechnet und einen kalt erwischt. Ich mag das ja, wenn ein Film mich überrascht und dann noch mit einer – nennen wir es mal "Tarantino-Lösung" – aufwartet. Getragen wird der Film nicht nur von seiner großartigen Kameraarbeit, die echtes Road-Movie-Feeling aufkommen lässt – denn gefahren wird hier tatsächlich, wenig überraschend, viel – sondern auch den fantastischen Score und Soundtrack, der durch die dialogfreien Strecken des Films führt. Die Auszeichnung für den bis dato recht unbekannten dänischen Regisseur Nicolas Winding Refn ("Bronson", "Walhalla Rising") in Cannes für die beste Regie ist voll gerechtfertigt. Dass er in Hollywood nur für bestes Sound Editing nominiert ist, enttäuscht mich schon sehr, obwohl der Film gerade in dieser Kategorie logischerweise einen Sieg verdient hätte.
Fazit:
Geht ins Kino, der Film ist für die große Leinwand gemacht. Seine Atmosphäre lässt einen träumen und ein bisschen leiden. Eindringliche Bilder vom Kampf um die persönliche Freiheit von jemandem, der sich nicht einengen lässt und sein eigenes Schicksal kontrolliert.