Mit: Carey Mulligan, Andrew Garfield, Keira Knightley, Charlotte Rampling, Sally Hawkins, Nathalie Richard, Isobel Meikle-Small, Charlie Rowe, Ella Purnell u.a.
Kurzinhalt:
Kathy, Ruth und Tommy wachsen im englischen Internat Hailsham auf. Es gibt einige strenge Regeln, denen sie sich beugen müssen, davon abgesehen verläuft ihre Kindheit aber recht behütet. Und doch ist es keine normale Kindheit… denn Kathy, Ruth, Tommy und die anderen SchülerInnen Hailshams sind keine normalen Kinder. Vielmehr verbirgt sich hinter Hailshams schöner, geborgener Fassade ein höchst düsteres Geheimnis. Schon früh in ihrem Leben müssen sie sich dieser Wahrheit stellen – und ihrem Schicksal, dem sie nicht entrinnen können…
Spoilerwarnung!
Die Inhaltsangabe ist ganz absichtlich ungewöhnlich kurz und vage gehalten, um jenen, die von der im Zentrum des Romans und des Films stehenden Wendung noch nichts gehört haben und diesen so unvorbereitet wie möglich sehen wollen, nichts zu verderben. Eine Filmbesprechung ist hingegen nicht möglich, ohne auf diesen zentralen Punkt der Handlung einzugehen. Wer das Geheimnis von Hailsham noch nicht kennt und es vor der Sichtung des Films auch nicht wissen will, sollte daher das nachfolgende Review überspringen und nur das Fazit lesen!
Review:
Der Haupt-Twist von "Alles, was wir geben mussten", der bereits nach ca. einer Viertelstunde offenbart wird, ist dass es sich bei Kathy, Tommy, Ruth und den anderen Kindern Hailshams um Klone handelt, die einzig und allein für den Zweck gezüchtet wurden, ihre Organe zu spenden. In Hailsham werden sie von der Außenwelt abgeschottet und auf ihr späteres Leben vorbereitet. Wenn erwachsen, ziehen sie in kleine Dörfer, wo sie dann entweder auf ihre erste Spende warten, oder aber sich als BetreuerInnen bewerben können, welche andere Klone bei ihren Spenden begleiten und dabei helfen, danach wieder zu Kräften zu kommen. Wenn ein Klon die Operation nicht überlebt, spricht man nicht von "Tod", sondern von "Vollendung" – eine Verharmlosung der Sprache, die sanfte Erinnerungen an die "Pensionierung" aus "Blade Runner" weckt. Es ist ein einerseits faszinierendes und andererseits erschreckendes Konzept, welches uns die Chancen und Gefahren des früher oder später wohl unvermeidlichen Durchbruchs in der Gentechnik vor Augen führt, und die Frage aufwirft, wie genau die Menschheit in so einem Fall wohl vorgehen würde. Die Vision aus "Alles, was wir geben mussten" wirkt dabei dabei erschreckend plausibel…
Was den Film dabei von anderen Einträgen ins Genre abhebt – und sicherlich den einen oder anderen vor den Kopf stoßen wird – ist dass die Protagonisten keinen Versuch unternehmen, ihrem Schicksal zu entkommen, sondern sich diesem widerstandslos ergeben. Kathy, Ruth und Tommy kommen ja noch nicht mal auf den Gedanken, zu fliehen – das höchste, was sie sich zugestehen, ist der Versuch, einen Aufschub zu gewinnen, und damit ein vermeintliches Schlupfloch im Regelwerk zu nutzen. Doch einfach abzuhauen ist für sie undenkbar; sie sehen es als ihre Bestimmung und als ihren einzigen Zweck im Leben an, ihre Organe zu spenden. Das ist es, wofür sie geschaffen wurden; ist, was sie sind. Dies zu verstehen und zu akzeptieren dürfte für einige Zuschauer schwierig werden, genau dies machte aber wiederum für mich vieles vom Reiz des Films aus, und verleiht ihm viel von seiner Bitterkeit und seiner Tragik. Die Science Fiction-Thematik ist dabei ohnehin nur ein eher kleiner Aspekt des Films, der sehr im Hintergrund verläuft, und dem kaum Beachtung geschenkt wird. Meines Erachtens geht es vielmehr um allgemeinere Themen, mit denen wir uns wohl alle identifizieren können. Im Mittelpunkt des Films steht dabei für mich vor allem ein Thema, nämlich Reue. Auch hier wird es einige geben, die bezüglich einiger Taten der Protagonisten zunehmend Frust und Ärger gegenüber den Figuren empfinden werden, gerade auch angesichts ihrer kurzen Lebensspanne. Vor allem Ruth droht damit, wie sie Kathy und Tommy aus egoistischen Gründen auseinanderhält, die Sympathien des Zuschauers restlos zu verspielen.
Doch nicht nur macht uns eine spätere Szene, in der wir endlich Einblick in ihre Figur und ihre Motivation erhalten, ihr Verhalten durchaus verständlich (wenn auch nicht unbedingt entschuldbar), macht man es sich meines Erachtens damit, Ruth den schwarzen Peter zuzuschieben, generell etwas zu leicht. Denn Kathy und Tommy sind daran, wie ihr Leben verlaufen ist, mindestens genauso sehr schuld, wie Ruth. Was hat sie denn daran gehindert, ihren Gefühlen zu folgen und sich zusammenzutun? Die diesbezügliche Schlüsselszene ist wohl jene bei ihrem Spaziergang, als sie sich über die Gerüchte eines Aufschubs unterhalten. Es gibt einen bestimmten Moment, in dem Tommy kurz davor ist, Kathy seine Gefühle zu offenbaren. Und an Kathy's hoffnungsvollen – und als er die Chance ungenützt verstreichen lässt enttäuscht-verletzten – Blick lässt sich erkennen, dass sie auch genau weiß, was er im Begriff war zu sagen. Doch er tat es nicht, und auch Kathy blieb passiv, anstatt die Initiative zu übernehmen und ihn aus der Reserve zu locken. So gesehen sind sie an der Misere mindestens genauso sehr schuld wie Ruth.
Ich kann mir vorstellen, dass ihr Verhalten angesichts der Tatsache, wie wenig Zeit ihnen allen bleibt, und wie sie diese teilweise verschwenden, den einen oder anderen frustrieren könnte. Ich bin allerdings fest davon überzeugt: Wenn wir auf Kathy, Tommy und auch Ruth wütend sind… sind wir in Wahrheit auf uns selbst wütend. Ja, den Spendern mögen deutlich weniger Jahre zur Verfügung stehen, als es uns hoffentlich vergönnt sein wird. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt nicht Anfang bis Mitte der 80er, sondern wohl eher Mitte bis Ende der 20er. Und doch ist unsere Lebenszeit, genauso wie ihre, begrenzt – eine Tatsache, die uns Kazuo Ishiguro und Mark Romanek durch die noch einmal deutlich kürzere Lebensspanne der Klone eindringlich vor Augen führt. Niemand von uns weiß, wie viel Jahre ihm gegeben sind, und wie viele er davon gesund und halbwegs unbeschwert durchleben kann. Aber ändert die Tatsache, dass uns – hoffentlich – knapp die dreifache Lebensdauer im Vergleich zu Kathy, Tommy, Ruth und den anderen "Spendern" bevorsteht, etwas an der Aussage? Ich glaube, was "Alles, was wir geben mussten" uns zu sagen versucht, ist, dass wir, egal ob wir nun 30 oder 80 Jahre leben – und niemand von uns weiß genau, wie viel Zeit ihm auf dieser Erde zugestanden ist – wir immer die gleichen Fehler machen (werden). Nämlich, anstatt jeden Tag auszukosten und ihn zu genießen und das Beste daraus zu machen, wir viel zu viele Tage unseres Lebens verschwenden. So wie Kathy, Tommy und vor allem Ruth drohen auch wir eines (hoffentlich fernen) Tages auf unser Leben zurückzublicken, und in erster Linie Reue zu empfinden. Bezüglich jener Dinge, die wir gesagt und getan haben (Ruth), vor allem aber auch jenen Dingen, die wir nicht gesagt und getan haben (Tommy und Kathy). In dem er uns dies anhand einer deutlich kürzeren Lebensspanne verdeutlicht, führt uns Mark Romanek unsere eigene Sterblichkeit vor Augen (nicht zuletzt lauten die letzten Worte des Films "We all complete") – und fordert uns dazu auf, es besser zu machen…
Aber kommen wir von meiner Interpretation des Films wieder zurück zum Film an sich: Was "Alles, was wir geben mussten" unter anderem auszeichnet, sind die glänzenden schauspielerischen Leistungen. Keira Knightley kommt dabei wohl angesichts der Taten ihrer Figur die schwierigste Rolle zu, schafft es dann jedoch bei ihrem Ausflug zum gestrandeten Boot durch ihre emotionale Performance, Ruth wieder zu rehabilitieren. Andrew Garfield bekommt hier noch nicht wirklich viel zu tun, aber vor allem in der bereits erwähnten Szene beim Spaziergang bringt er die unterdrückten Gefühle sowie den inneren Zwiespalt seiner Figur perfekt zur Geltung. Die beste Performance kommt aber sicherlich von Carey Mulligan, die hier eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass ihr phantastisches Debüt in "An Education" weder Zufall noch Glück war, und offenbart sich als junges Talent, dass es – nicht nur wegen ihrer bezaubernden Ausstrahlung und ihres hübschen Gesichts – im Auge zu behalten gilt. Hilfe erhält sie dabei von Isobel Meikle-Small als junge Kathy, die ihr tatsächlich ungemein ähnlich sieht, und gemeinsam mit Charlie Rowe und Ella Purnell perfekt den Grundstein für spätere Entwicklungen und Szenen legt und uns Kathy von Anfang an sympathisch macht.
Mark Romaneks Inszenierung ist ungemein stilvoll und angenehm ruhig. Statt Hochglanzoptik setzt er auf ein sehr natürliches Aussehen seiner Aufnahmen, dass dieser viel an Authentizität verleiht. Zudem stellt er statt eindrucksvoller Kamerafahrten und imposanter Bilder vielmehr die Handlung und die schauspielerischen Leistungen ins Zentrum, und lässt diese weitestgehend für sich sprechen. Er gibt sowohl der Handlung als auch den Figuren ausreichend Luft zum Atmen, und erzählt diese tragische Geschichte sehr elegant und berührend. An letzterem hat auch Rachel Portman großen Anteil, deren wunderschöne, traurig-melancholische Filmmusik die Stimmung der Vorlage perfekt einfängt, und musikalisch auf die große Leinwand überträgt. Auch Kathy's Lied "Never Let Me Go", gesungen von einer fiktiven Judy Bridgewater, wurde grandios umgesetzt, und klingt tatsächlich wie ein Schmuddelsong aus den 50ern – wenngleich hier auch durch die Textänderung von "Baby" auf "Darling" auffällt, dass ein wesentlicher Aspekt aus der Vorlage, nämlich dass die Klone keine Kinder bekommen können, im Film außen vorgelassen wurde. Gestört hat mich dies jedoch nicht, im Gegenteil, konnte man sich dadurch doch auf das tragische Schicksal der Klone sowie die Gefühle zwischen Ruth, Tommy und Kathy, die auch das Herz des Romans gebildet haben, konzentrieren. Generell muss bei allem Lob für die Beteiligten am Film auch klargestellt werden, dass die Handlung an sich – die sich weitestgehend aus dem phantastischen Roman von Kazuo Ishiguro ergibt – die größte Stärke des Films ist, und ihm die besten Momente und berührendsten Szenen beschert. Highlights sind dabei sicherlich der gemeinsame Ausflug in die Stadt, der besagte Spaziergang, die Konfrontation von Ruth und Kathy kurz bevor sich letztere als Betreuerin bewirbt, der Ausflug zum Boot, der Besuch bei Madame, sowie der berührende Abschluss.
Fazit:
Auch wenn "Alles, was wir geben mussten" viel von seiner Faszination zweifellos der grandiosen Vorlage von Kazuo Ishiguro verdankt, soll die Leistung aller an der Verfilmung Beteiligten nicht geschmälert werden. Man stelle sich nur vor, was andere in Hollywood aus diesem Stoff gemacht hätten! Stattdessen hat man sich auf die Stärken der Vorlage konzentriert, sie teilweise etwas gestrafft und fokussiert, und ist dabei dem Kern, der Stimmung und der Aussage des Romans treu geblieben. Neben Drehbuchautor Alex Garland ist hier in erster Linie die elegante und stilvolle Inszenierung von Mark Romanek zu loben, der die berührende Handlung sehr stimmungsvoll umsetzt, ohne je in Rührseligkeit zu verfallen, und der statt den Science Fiction-Elementen immer Menschen und Gefühle ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit rückt. Rachel Portman fängt die Emotionen der Vorlage bzw. der Geschichte musikalisch absolut wundervoll ein, und auch das für die Handlung wichtige Lied "Never Let Me Go" wurde phänomenal umgesetzt. Nicht vergessen werden dürfen natürlich auch die SchauspielerInnen, wobei vor allem Keira Knightley, der es dank ihrer Performance ansatzweise gelingt Sympathien für eine sehr schwierige Figur zu wecken, sowie wieder einmal Carey Mulligan positiv hervorstechen. Das Ergebnis aus all diesen positiven Elementen ist ein beeindruckendes, nachhallendes Meisterwerk; oder, wie ich es nach der (Erst-)Sichtung des Films auf Twitter ausgedrückt habe: "An absolutely brilliant, haunting and extremely moving masterpiece that will never let me go."