Mit: Heath Ledger, Christopher Plummer, Lily Cole, Tom Waits, Andrew Garfield, Verne Troyer, Johnny Depp, Jude Law, Colin Farrell u.a.
Kurzinhalt:
Seit Jahrhunderten schon liefert sich der – seither unsterbliche – Dr. Parnassus mit dem Teufel einen Wettstreit um die Seelen von Menschen. Wenn diese in sein Imaginarium treten, werden sie vor eine Wahl gestellt; während der Teufel versucht, sie zu verführen, bemüht sich Parnassus, ihnen Erlösung zu schenken. Doch eine Wette mit besonders hohem Einsatz droht ihn nun einzuholen, als der 16. Geburtstag seiner Tochter Valentina kurz bevorsteht, die gemeinsam mit ihm, dem Kleinwüchsigen Percy sowie dem jungen Assistenten Anton mit ihm und seinem auf einem Lastwagen montierten "Kabinett" durch das England der Gegenwart reist. Doch "Mr. Nick" zeigt Einsicht, und bietet Dr. Parnassus eine neue Wette an: Wer die ersten fünf Seelen für sich gewinnt, gewinnt auch den Wettstreit. Noch in derselben Nacht rettet die wandernde Gesellschaft den am Strick taumelnden Tony, der sich ihnen daraufhin anschließt und mit seinem Charme nicht nur Valentina den Kopf verdreht, sondern die Truppe auch finanziell zu einem neuen, ungeahnten Höhenflug führt. Doch ist er wirklich der Schlüssel zu Dr. Parnassus Erlösung, oder stürzt er ihn erst recht ins Verderben?
Review:
"Das Kabinett des Dr. Parnassus" ist sicherlich kein Film für Jedermann – dafür ist er zu eigen und skurril. Zumindest mich hat Terry Gilliams jüngstes (und wohl seit "12 Monkeys" mit Abstand bestes) Werk aber absolut überzeugt. Besondere Aufmerksamkeit – und Tragik – erhielt dieser Film aber wohl auch in erster Linie aufgrund des Todes von Hauptdarsteller Heath Ledger während einer Pause zwischen den Dreharbeiten. Da zumindest die Szenen in der "realen" Welt bereits komplett abgedreht waren, gelang es Terry Gilliam durch einen originellen Kniff, diese letzte Performance eines der vielversprechendsten jungen Talente Hollywoods, der viel zu früh von uns gegangen ist, zu bewahren, und ihm damit ein letztes filmisches Denkmal zu setzen. Denn wann immer Tony das Imaginarium von Dr. Parnassus betritt, verwandelt er sich in einen anderen Schauspieler. Zuerst Johnny Depp, dann Jude Law, und zuletzt Colin Farrell, die allesamt eine andere Facette der Figur beleuchten. Was zuerst vielleicht etwas seltsam und gewöhnungsbedürftig klingen mag, klappt im Film erstaunlich gut, und ist auf jeden Fall der Alternative, uns seiner letzten Performance zu berauben, vorzuziehen.
Ganz egal, was man von ihnen letztendlich halten mag, visuell waren die Filme von Terry Gilliam schon immer beeindruckend und ein Erlebnis. "Das Kabinett des Dr. Parnassus" bildet hier keine Ausnahme; im Gegenteil, wo man bei seinen letzten Filmen doch etwas das Gefühl hatte, er würde sich diesbezüglich einschränken, zaubert er hier eine phantasievolle Bilderpracht auf die Leinwand, wie man sie von ihm wohl seit "Brazil" nicht mehr zu sehen bekam. Dem einen oder anderen mag es schon wieder zu skurril und bunt sein, oder die CGI-Effekte, auf die hier natürlich überwiegend zurückgegriffen wurde, stören. Natürlich können die Effekte mit großen Hollywood-Produktionen mit riesigem Budget nicht mithalten, aber als Phantasiewelt eines Menschen hat es mich nicht im Geringsten gestört. Nicht zuletzt, da mich dafür die hier von Terry Gilliam offenbarte Vorstellungskraft und die schiere Bildgewalt derart in ihren Bann zog, dass ich gar nicht auf die Idee kam, ihnen mangelnden Photorealismus vorzuwerfen. Visuell war "Das Kabinett des Dr. Parnassus" jedenfalls der wohl beeindruckendste und imposanteste Film des Kinojahres 2010 – und angesichts von Konkurrenten wie "Inception" will das schon etwas heißen. Doch nicht nur optisch konnte mich der Film begeistern, auch die Geschichte zog mich in ihren Bann. Einerseits bietet sie einiges an Tiefgang, Aussagekraft (vor allem was unseren freien Willen und unsere Entscheidungen betrifft) und Interpretationsspielraum, andererseits ist sie durchaus wendungs- und auch abwechslungsreich. "Das Kabinett von Dr. Parnassus" bietet eine faszinierende Mischung verschiedenster Elemente, wie Fantasy, Mystery, Thriller, aber auch Romantik und viel Humor.
Eine weitere große Stärke sind die faszinierenden, vielschichtigen und teilweise auch durchaus komplexen Figuren. Seitdem der Teufel ihn von seinem Glauben "befreit" hat, lässt sich Dr. Parnassus immer wieder auf einen neuen Handel bzw. eine Wette mit ihm ein. Die beiden verbindet eine regelrechte Hassliebe, der eine scheint vom anderen nicht lassen zu können. Auch "Mr. Nick" ist sehr interessant und vielschichtig umgesetzt, und überrascht mit einigen Entscheidungen, die man vom angeblichen Antagonisten nicht unbedingt erwarten würde. Valentina ist eine junge Frau an der Schwelle zum Erwachsen werden, die sich ihrer erwachenden Gefühle und Bedürfnissen stellen muss. Und bei Tony weiß man von Anfang an nicht so recht, woran man ist – eine Ambivalenz, die von Heath Ledger sehr überzeugend umgesetzt wird. Zwar ist man von vornherein misstrauisch, und doch gelingt es Tony, einen zu "bezirzen" und mit seinem Charme für sich einzunehmen – man kann sich nicht helfen, man mag ihn einfach. Wirklich überraschend sind spätere Offenbarungen hingegen auch nicht. Einzig der arme Anton, der auf seine Eifersucht reduziert wird, fällt im Vergleich zu den anderen, deutlich interessantere Figuren, doch etwas ab, weshalb es schwer fällt, mit ihm im Kampf um Valentina so richtig mitzufiebern.
Doch die Figuren sind nicht nur gut geschrieben, sie werden von ihren jeweiligen DarstellerInnen auch überzeugend portraitiert. Heath Ledger und die herrliche Ambivalenz sowie den Charme, den er in seine Rolle einbringt, habe ich ja bereits positiv hervorgehoben. Es mag keine so überragende und alles andere in den Schatten stellende Performance wie sein zu recht posthum mit dem Oscar ausgezeichneter Joker aus "The Dark Knight" sein, dennoch weiß er definitiv erneut zu gefallen – von der Wehmut, die in dieser letzten Performance von ihm mitschwingt, ganz zu schweigen. Christopher Plummer ist als Dr. Parnassus ebenfalls grandios, und bekommt mit Tom Waits zudem einen wirklich kongenialen Partner zur Seite gestellt, dessen Mr. Nick dem Film immer wieder seinen Stempel aufdrückt. Verne Troyer ("Mini-Me" aus den Austin Powers-Fortsetzungen) leistet wertvolle unterstützende Arbeit, Lily Cole dürfte mit ihrem Balanceakt zwischen Unschuld und Sünde einigen Männern den Kopf verdrehen, und der zukünftige Spider-Man Andrew Garfield zeigte bereits hier trotz einer wenig interessanten Figur, dass mit ihm in Zukunft noch zu rechnen sein wird. Wenn man unbedingt noch ein kleines Härchen in der Suppe finden wollen würde, dann wäre es wohl der Soundtrack, der nicht mit der Imposanz und Brillanz der Bilder mithalten kann und für meinen Geschmack doch etwas zu unauffällig geraten ist. Wenn dafür die Augen derart viel zu tun bekommen, habe ich aber auch kein Problem damit, den Ohren mal eine kleine Ruhepause zu gönnen…
Fazit:
"Das Kabinett des Dr. Parnassus" ist ganz großes kleines Kino. Ein faszinierender, optisch beeindruckender, höchst origineller und vor allem ungemein phantasievoller Independent-Film, der viel Raum für eigene Interpretationen bietet. Optisch stellenweise wirklich eine Wucht und geprägt von Terry Gilliams origineller, visionärer und erzählerischer Kraft als Regisseur, vermögen es neben der Optik auch die Handlung sowie die schauspielerischen Leistungen, zu überzeugen. Heath Ledger spielt gewohnt gut, und auch die Performance seiner "Freunde" weiß zu gefallen; es war schön zu sehen, wie all diese anderen talentierten Schauspieler ihm Tribut zollten. Das Highlight des Films sind eindeutig die vier Abenteuer von Tony im Zauberspiegel, wobei mir jenes von Johnny Depp – nicht zuletzt dank der berührenden Szene mit den Schiffen der Verstorbenen, wo erneut leise an Heath Ledger erinnert wird – besonders gut gefallen konnte. Jedenfalls ist "Das Kabinett des Dr. Parnassus" für Heath Ledger’s Filmkarriere ein stiller, überzeugender und sehr passender Ausklang, der mich ihn und sein großes schauspielerisches Talent jedoch gleich umso mehr vermissen lässt.