Mit: Rhys Ifans, Rafe Spall, Joely Richardson, Vanessa Redgrave, David Thewlis, Jamie Campbell Bower, Edward Hogg, Helen Baxendale u.a.
Kurzinhalt:
Vor der Kulisse des elisabethanischen Englands, bietet "Anonymus" eine mögliche Antwort auf die Frage, wer - wenn nicht Shakespeare selbst - all die berühmten Werke seinerzeit verfasst haben könnte. Viele Bücher wurden geschrieben, viele Literaturwissenschaftler haben sich im Laufe der Jahrhunderte damit auseinandergesetzt - niemand hat eine definitive Antwort. Hier nun bringt Roland Emmerich seine Version der Vorgänge ins Kino.
Review:
Was? Roland Emmerich dreht einen Kostümfilm über ein hochintellektuelles Thema? In der Tat! Eine der umstrittensten Figuren der Literaturgeschichte wird zum Dreh- und Angelpunkt in seinem neuesten Film. Das Werk das nicht zum angeblichen Autor passt, erhitzte immer wieder die Gemüter und spaltet die Welt der Gelehrten seit jeher in zwei Lager. Emmerich nun nimmt eine der populärsten Theorien und verpackt sie in ein Drama, das sich vom einfachen staubigen Boden der hölzernen Theaterhäuser jener Zeit bis in die Gemächer der Königin selbst emporschraubt. Vermischt werden die Leben der Künstler im einfachen Volke, mit den unmöglichen Aspirationen eines bankrotten Edelmannes und den Ränkespielen am Hofe Elisabeths um die Thronfolge der Königin ohne Erben. Der Earl of Oxford, Edward de Vere, gespielt von Rys Ifans ("Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 1") ist der Mann hinter den Werken, die Shakespeare (Rafe Spall, "Zwei an einem Tag"), einem wenig erfolgreichen Schauspieler und Trunkenbold, zugeschrieben werden. Aufgrund seiner Stellung bei Hofe ist es ihm selbst unmöglich, seine Werke unter seinem Namen zu veröffentlichen.
Ifans portraitiert den Earl als zutiefst gequälten Mann, der seinen Wahnsinn nur durch das unablässige Schreiben kontrollieren kann, um nicht von ihm beherrscht zu werden. Sein Leben wird ihm aufgrund seiner Herkunft vorgegeben. Der Junge Earl of Oxford (Jamie Campbell Bower, "Camelot", "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2") kann sich nur kurz - auf einer Reise durch Europa - von den Intrigen lösen und Abstand zu der Frau die er wirklich liebt gewinnen. Dem Earl wird im Film eine Liebschaft mit der Königin unterstellt, die vom Mutter-Tochter-Gespann Joely Richardson ("Nip/Tuck", "The Tudors") und Vanessa Redgrave ("Miral") in zwei Epochen mit einer ungewöhnlichen Leidenschaft und einer inhärenten Begeisterung für die darstellenden Künste gespielt wird. Die beiden Schauspielerinnen sind geradezu perfekt für diese Rolle in zwei Lebensabschnitten - ihre Ähnlichkeit ist eben natürlich vorhanden und muss nicht gespielt werden. Erzählt wird die Geschichte aus zwei Blickwinkeln. Aus der des Earl of Oxford und aus der von Bühnenautor Ben Jonson (Sebastian Armesto, "Fluch der Karibik - Fremde Gezeiten"). Beide haben ihre Gründe sich aufeinander einzulassen, während der eine sein Theater füllen muss und seine eigenen Stücke die Ränge nicht füllen, will der andere, der anonym bleiben muss, seine Werke verwirklicht sehen. So kommt es, dass Johnson im Auftrag des Earls dessen Stücke inszeniert - zunächst bleibt es bei der Herkunft: "Geschrieben von Anonymus", bis der arme, durchschnittlich begabte Shakespeare eine Chance auf Ruhm sieht, zum Pergament greift und die Autorenschaft für sich reklamiert. weder Johnson noch der Earl können in dem Moment etwas tun, ohne sich selbst preisgeben zu müssen.
Schließlich gibt es noch die Ebene im Film am Hofe, wo die alternde Königin, beraten von ihren Commoners, den Cecils (David Thewlis & Edward Hogg) gedrängt wird die Thronfolge zu regeln und König James I. von Schottland zu ernennen um die eigen Macht und Stellung zu sichern. Die Cecils sind bemüht, die nur ihnen bekannten möglichen Thronerben - uneheliche Kinder Elisabeths - verborgen zu halten oder, sollten sie sich als würdig erweisen, als Thronerben einzusetzen. So weiß die Königin selbst nicht, welche Adligen ihre Kinder großziehen. Die Cecils sind es auch, die dem Earl von Oxford den einzigen Fluchtpunkt aus der Affäre mit der Königin bieten: William Cecil gibt ihm seine Tochter Anne zur Frau, die er nie wirklich lieben wird. Sie ergibt sich in ihr Schicksal und wird kühl und hart - gespielt von Helen Baxendale ("Kidnap and Ransom") die der Verzweiflung ihrer Figur nur einmal aus der Fassade hervorbrechend Ausdruck verleiht.
Ich muss jetzt hier aufhören sämtliche Darsteller durchzugehen, denn der Film ist in sehr vieler Hinsicht, trotz ein paar dramaturgischen Eckpfeilern, ein Ensemble-Film und alle machen diese Zeit erlebbar und in einem Maße komplex, dass man echt aufpassen muss. Manchmal ist es gerade ein Name und Gesicht zu viel. Vielleicht wäre hier die Möglichkeit gewesen es etwas zu beschränken. Es nimmt keine biblischen Ausmaße an, ist für einen Zwei-Stunden-Film aber dennoch hart an der Grenze. Man merkt hier zum ersten Mal bei Emmerich dessen Liebe für das Theater, dass er genauso detailverliebt inszeniert, wie seine Katastrophenfilme. Er schafft es deutlich zu machen, was Theater damals bedeutet hat, was es für das Volk bedeutete, was die Ideen in den Stücken für den Adel bedeutete und wie schnell ungeliebte politische Statements zu Konsequenzen führten. In wie weit damals die Feder tatsächlich mächtiger war als das Schwert. In den kurzen Szenen aus den inszenierten Stücken am Rose und Globe Theatre im Film wird auch klar, dass sie die Menschen damals sehr viel direkter berührten. Emmerichs Filme mochte ich schon immer. Bombastisch, groß, epochal. Kaum einer traute sich vor ihm noch an Filme, in denen Massen bewegt werden mussten. Doch diesen hier mag ich aus ganz anderen Gründen. Die am Rechner rekonstruierte Altstadt Londons ist zwar großartig und verleiht dem Film die nötige visuelle Tiefe, muss aber keine Unzulänglichkeiten im Spiel oder den Dialogen kaschieren. Wenn der Film eine Überraschung ist, dann viel mehr noch in der Hinsicht, dass er eine ganz neue Seite von Emmerich zeigt.
Fazit:
Mir wurden es tatsächlich an den ein oder anderen Stellen ein paar zu viele Namen. Ich lasse mich gern von Filmen fordern, und schrecke nicht vor Komplexität zurück, aber manchmal erfüllte das "Name Dropping" auch keinen echten Zweck. Andererseits kann es kaum genug kontroverse Themen im Kino geben - seien sie gegenwartsbezogen oder behandeln ein Thema das bis heute nachhallt. "Anonymus" gibt auch nicht vor, im Hinblick auf Shakespeare, der Weisheit letzter Schluss zu sein, bringt das Thema aber in opulenten Bildern und einer Liebe für das Theater auf die große Leinwand. Wer bisher noch nicht wusste, dass die Autorenschaft des Mannes, dessen Stücke man in der Schule behandelt hat, überhaupt angezweifelt wird, sei dieser Film empfohlen, wie auch all jenen die Ränkespiele und Intrigen in alten Gemäuern nicht verachten.