Originaltitel: Charlie X Produktionsnummer: 1x07 Bewertung: Erstausstrahlung USA: 15.09.1966 Erstausstrahlung D: 09.02.1974 Drehbuch: D.C. Fontana Regie: Lawrence Dobkin Hauptdarsteller: William Shatner als Captain James T. Kirk, Leonard Nimoy als Mr. Spock, DeForest Kelley als Dr. Leonard McCoy, James Doohan als Scotty, George Takei als Hikaru Sulu, Nichelle Nichols als Lt. Uhura Gastdarsteller: Robert Walker als Charles "Charlie" Evans, Grace Lee Whitney als Yeoman Rand, Charles J. Stewart als Captain Ramart, Dallas Mitchell als Nellis, Patricia McNulty als Tina, Abraham Sofaer als Thasianer
Kurzinhalt:
Die Enterprise begrüßt den Jugendlichen Charlie an Bord. Dieser lebte jahrelang als einziger Überlebender eines Raumschiff-Absturzes auf einem fremden, unwirtlichen und entlegenen Planeten, ehe er vom Transportschiff Antares gefunden und gerettet wurde. Doch nur kurz nach seiner Ankunft an Bord der Enterprise mehren sich seltsame Vorkommnisse. Pünktlich zu Thanksgiving finden sich auf einmal Truthähne in der Kajüte, Lt. Uhura verliert während einer Gesangseinlage in der Messe plötzlich ihre Stimme, und nur kurz nach ihrem Rendezvous mit der Enterprise zerbricht die Antares mitten im Weltraum – gerade, als die Besatzung Captain Kirk eine Warnung übermitteln wollte. Schon bald wird Captain Kirk bewusst, dass Charlie über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt – die eine Gefahr für die gesamte Besatzung der Enterprise darstellen könnten. Kirk versucht verzweifelt, ihm als Vaterfigur und Respektperson zu dienen – doch Charlie wird immer unkontrollierbarer…
Denkwürdige Zitate:
Diese Episode hatte diesbezüglich leider nichts herausragendes zu bieten.
Review:
Die Grundidee hinter "Der Fall Charlie" offenbart einige Ähnlichkeiten zu "Die Spitze des Eisberges": Erneut muss sich Captain Kirk einem Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten stellen, der die gesamte Besatzung mit einem einzigen Gedanken auslöschen könnte. Der moralische Konflikt ergibt sich dabei diesmal nicht daraus, dass es sich um einen engen Freund handelt, sondern um einen Jugendlichen – der noch dazu jahrelang in völliger Isolation gelebt hat. Dementsprechend schwer fällt es ihm nun, sich in die Gesellschaft an Bord der Enterprise zu integrieren. Dazu wird er noch von all jenen Ängsten, Problemen und Sehnsüchten geplagt, die einen in diesem Alter heimsuchen: Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, dass man von niemandem verstanden wird, der erste große Schwarm und der Schmerz, als diese ihn ablehnt, und so weiter. Allerdings verfügt er auch über die schreckliche Fähigkeit, alles und jedem der sich ihm in den Weg stellt oder ihm aus sonst einem Grund gegen den Strich geht, verschwinden zu lassen oder etwas anderes Grausames mit ihnen anzustellen. Es ist eine interessante und vielversprechende Prämisse – die jedoch, wie das leider bei "Raumschiff Enterprise" des Öfteren vorgekommen ist, nicht 100%ig gelungen umgesetzt wurde.
Was mir gut gefällt, ist das Captain Kirk – wohl aufgrund seiner Ausstrahlung als Captain des Schiffes – der Einzige ist, dessen Autorität Charlie anerkennt – zumindest für einige Zeit. Kirk sieht sich dabei mit der Herausforderung konfrontiert, sich gegen jemanden durchsetzen zu müssen, dem er – aufgrund von Charlie's Fähigkeiten – genau genommen körperlich unterlegen ist. Es ist ein reiner Kampf des Willens bzw. der Willensstärke, und Kirk erkennt zunehmend, wie er an Einfluss verliert und diesen geistigen Wettstreit zu verlieren droht – mit möglicherweise schrecklichen Konsequenzen für sich und seine Besatzung. Er steckt in einer Zwickmühle: Je stärker er Charlie in die Schranken weist, desto größer die Gefahr, dass dieser seine Autorität nicht länger anerkennt. Eine gefährliche Gratwanderung, aus der "Der Fall Charlie" einiges an Spannung bezieht. Eine weitere Stärke ist Robert Walkers tolle schauspielerische Leistung als Charlie. Er bringt die Verletzlichkeit und innere Zerrissenheit der Figur sehr gut zur Geltung. Das wenige, was Charlie an Sympathie des Zuschauers verbuchen kann (dazu gleich mehr), verdankt er in erster Linie ihm. Die Inszenierung von Lawrence Dobkin ist ebenfalls sehr gefällig; vor allem sein geschicktes Spiel mit Farben bzw. Licht und Schatten (siehe das erste Bild zur Episode). Ebenfalls nicht vergessen werden darf die legendäre Spock-musizier-und-Uhura-Gesangs-Szene in der Messe. Die beste Szene ist aber – mit Abstand – Charlie's unfreiwilliger Abschied am Ende der Folge, als er Kirk und die Anderen verzweifelt anfleht, bei ihnen bleiben zu dürfen, statt von den Thasianern wieder auf den Planeten zurückgebracht zu werden.
Eben diese Szene zeigt jedoch auch gleich eines meiner größten Probleme mit der Folge auf: Angesichts seiner Taten zuvor fällt es etwas schwer, hier mit Charlie mitzufühlen. Meines Erachtens wäre es besser gewesen, auch schon zuvor seine Einsamkeit stärker zu thematisieren und sich mehr mit seinem Exil auf dem Planeten auseinanderzusetzen. Stattdessen liegt der Fokus schon sehr früh bei seinen Fähigkeiten – beschleicht einen doch gleich bei seinem ersten Auftritt, als er den Captain des Frachters dazu zwingt, Kirk über ihn vorzuschwärmen, ein mulmig-bedrohliches Gefühl. Auch danach tut man leider nicht viel, ihn uns sympathisch zu machen – zu oft wirkt er einfach zu frech, zu selbstverliebt, zu arrogant. Erst am Ende, als er von seiner Isolation auf dem Planeten erzählt, und dass ihm die Thasianer zwar Gesellschaft spenden mögen, er diese aber nicht einmal berühren kann usw., beginnt man ihn zu verstehen – doch dann ist es eigentlich schon zu spät. Möglicherweise war dies ja eine bewusste Entscheidung, damit Kirk wiederum aufgrund seiner harten Haltung nicht die Sympathien der Zuseher verliert, trotzdem glaube ich, dass "Der Fall Charlie" von einer früheren differenzierte(re)n Betrachtung von Charlie profitiert hätte.
Besser gefunden hätte ich auch, wenn man uns länger darüber im Unklaren gelassen hätte, was es mit Charlie auf sich hat, und wir von seinen Fähigkeiten erst langsam im Verlauf der Episode erfahren hätten. Dies hätte nicht nur dazu geführt, dass man ihn in erster Linie als Teenager und als Menschen, denn als Bedrohung, ansieht, sondern hätte vor allem den ersten Teil der Folge spannender gestaltet – hätte es dann doch zumindest noch einen Restzweifel gegeben, auf wen oder was diese seltsamen Ereignisse zurückzuführen sind, und ob wirklich dieser Junge dafür verantwortlich ist. Wo wir schon davon sprechen: Trotz Charlie's Fähigkeiten und der klaren Bedrohung, die er für die Enterprise darstellt, wollte für mich bei "Der Fall Charlie" irgendwie nie so recht Spannung aufkommen. Last but not least: Der Abschied von Charlie ist zwar sicherlich meine Lieblingsszene der Folge, und ich würde nicht behaupten, dass man hier den "easy way out" nimmt. Vor allem für Charlie ist das keineswegs ein glückliches Ende, und man merkt, dass auch die Enterprise-Crew von seinem weiteren Schicksal betroffen ist. Trotzdem: Nicht nur hat das plötzliche Auftauchen der Thasianer einen leichten Deus Ex Machina-touch, das Problem Charlie löst sich damit für die Enterprise Crew auf für meinen Geschmack etwas zu einfache Art und Weise in Luft auf. Bei "Die Spitze des Eisberges" musste Kirk schließlich seinem engen Freund gegenübertreten und ihn töten – hier wird ihm das Problem quasi abgenommen. Es ist zwar trotzdem ein tolles, passendes Ende für die Folge – war mir aber nichtsdestotrotz einen Hauch zu praktisch und bequem…
Fazit:
Dem "Fall Charlie" liegt eine interessante Prämisse zugrunde: Ein Teenager, der noch dazu viele Jahre von der Menschheit isoliert war, und der über gottgleiche Macht verfügt. Captain Kirk begibt sich als dessen einzige Autoritätsfigur auf eine gefährliche Gratwanderung; einerseits muss er versuchen, ihm Grenzen aufzuzeigen und ihn zu kontrollieren, andererseits ist er ihm jedoch aufgrund dessen übernatürlicher Kräfte de facto nicht gewachsen. Ein Kampf des Willens, also, den er zunehmend zu verlieren scheint. Darüber hinaus wissen vor allem noch einzelne Szenen, die gelungene schauspielerische Leistung von Robert Walker und das für Charlie durchaus tragische Ende zu gefallen. Schade nur, dass man sich zu lange auf Charlie als Bedrohung konzentriert und es ihm daher nicht gelang, meine Sympathien zu gewinnen – weshalb ich am Ende nicht so mit ihm mitgefühlt habe, wie das bei einer etwas ausgewogeneren Darstellung möglich gewesen wäre. Dies und kleinere dramaturgische Schwächen sowie die trotz der interessanten Ausgangssituation mangelnde Spannung drücken den Unterhaltungswert dann doch auf "nur" durchschnittliches Niveau.