Kurzinhalt:
Bei einem seiner Jagdausflüge in den nahegelegenen Wald entdeckt der erfolgreiche Anwalt eine Frau, die offenbar in der Wildnis aufgewachsen ist. Am darauffolgenden Abend beginnt er damit, alles für ihre Ankunft vorzubereiten. Tags darauf nimmt er sie tatsächlich gefangen und fesselt sie in einem unterirdischen Schuppen…
Review:
"The Woman" hat Anfang des Jahres bei seiner Uraufführung in den USA während des Sundance-Filmfestivals für einen kleinen Eklat gesorgt, als sich ein Mann nach der Vorstellung furchtbar über den Film aufgeregt hat – bis man ihn des Kinosaals verwiesen hat, wo er seinem Unmut dann erst recht freien Lauf gelassen hat (Ein YouTube-Videos zu dem Vorfall findet ihr hier – beachtet aber, dass darin einige Spoiler enthalten sind!). Der Film wäre Mist, würde Frauen erniedrigen, sei widerlich, und hätte keinen Wert für die Gesellschaft. Welcher kranke Mensch würde sich so etwas freiwillig ansehen? Öhm… *aufzeig*? Als Antwort darauf fallen mir in erster Linie zwei Dinge ein. Erstens – und ich hasse es, diese Keule herausholen zu müssen, aber… – der gute Herr hat den Film scheinbar überhaupt nicht verstanden. Und zweitens… ehrlich gesagt – ich habe schon schlimmeres gesehen (was auch immer das jetzt über mich aussagen mag). Was jedoch nicht heißen soll, dass ich seine Reaktion so überhaupt nicht nachvollziehen könnte. "The Woman" ist in der Tat ein schwieriger Film – der aufgrund seiner subversiven Natur auch leicht missverstanden werden kann.
Ich werde mich hüten, nach der bewusst sehr kurz und vage gehaltenen Inhaltsangabe hier nun auf einmal ins Detail zu gehen, und genauer zu schildern, was in "The Woman" passiert. Denn aus der Frage, welche Auswirkungen diese wilde, ungezähmte Frau bzw. ihre Gefangennahme auf die Familie hat, bezieht der Film viel an Spannung und Faszination. Ich muss jedoch gestehen – so sehr ich mit der Frau auch mitgezittert und –gelitten haben mag, am beängstigendsten empfand ich an diesem Film die erschreckend realistisch wirkende Darstellung der Familiendynamik in diesem vom patriachalischen Vater unterdrückten Haushalt. Ich will wie gesagt nicht zu viel verraten, aber um nur eine kurze Szene herauszupicken: Als Chris seiner Frau Belle seinen Fang zeigt, fragt sie ihn als sie später allein im Schlafzimmer sind ganz vorsichtig, ob er wirklich meint dass sie das tun sollten. Kein direkter Widerstand oder Widerspruch, einfach nur eine zaghafte Frage – mehr braucht es nicht, und schon folgt die Reaktion auf dem Fuße. Dass die daraus entstehende Atmosphäre der konstanten Unterdrückung seiner Frau natürlich auch auf die Kinder abfärbt, ist keine Frage – wobei vor allem die Auswirkungen, die dieses Verhalten auf seinen Sohn hat, erschrecken. Und das ist alles, was ich zur Handlung zu sagen gedenke – den Rest solltet ihr am besten selbst herausfinden.
Abseits der Handlung fallen vor allem noch die schauspielerischen Leistungen positiv auf. Pollyanna McIntosh ist als die titelspendende "Frau" eine Naturgewalt. Selbst wenn sie fest angekettet ist, strahlt sie eine unheimliche Wildheit und Bedrohlichkeit aus. Trotzdem würde ich meinen, dass die mutigere (wenn auch nicht unbedingt bessere) Performance von Sean Bridgers kommt, der dieses Scheusal mit voller Inbrunst und ungemein überzeugend verkörpert. Angela Bettis als seine unterdrückte Frau ist ebenfalls grandios, wie auch Tochter Lauren Ashley Carter und Sohn Zach Rand. Die Inszenierung von Lucky McKee ist sehr stilvoll und atmosphärisch. Auf billige Schockmomente verzichtet er völlig und auch die gezeigte Gewalt ist über weite Strecken des Film recht zurückhaltend und überlässt vieles der Phantasie des "kranken" Zuschauers (erst gegen Ende hin wird der Film dann ziemlich explizit), – stattdessen legt er den Fokus auf das Grauen des Geschehens, welches sich vor unseren Augen abspielt. Dabei achtet er auch darauf, vor allem in der ersten Hälfte alles sehr realistisch und glaubwürdig zu halten, so dass man als Zuseher unweigerlich in den Films hineingezogen wird. Jedenfalls fand ich "The Woman" dank der bedrohlichen Atmosphäre, vor allem aber aufgrund der sehr realistischen Darstellung um einiges beängstigender und nachhallender als 99% der billigen "Buh!"-Schocker.
Fazit:
Welchen Wert dieser Film für die Gesellschaft hätte, fragt der entrüstete Mann nach der Vorstellung – und gibt sich mit seiner Reaktion sogleich die Antwort. Lucky McKee's "The Woman" möchte aufrütteln, schockieren und uns zum Nachdenken anregen – was ihm dank der überwiegend realistischen Darstellung der Ereignisse, der erschreckend glaubwürdigen Familiendynamik und der herrlich subversiven Handlung auch gelingt. Lucky McKee inszeniert dabei überwiegend unvoyeuristisch, und überlässt vor allem in den ersten zwei Dritteln vieles der Phantasie des Zuschauers – erst gegen Ende hin kommen auch Splatter-Freunde zunehmend auf ihre Kosten. Neben Drehbuch und Inszenierung erweisen sich vor allem die schauspielerischen Leistungen als große Stärke, wobei nicht nur "die Frau" Pollyanna McIntosh besticht, sondern auch der Rest des Ensembles überzeugen kann. Da mag es den YouTube-Mann auch noch so erzürnen – für mich ist "The Woman" ein ungemein tiefgründiger Film, der noch einige Zeit nachhallt und zum Nachdenken anregt.