Mit: Klaus Kinski, Isabelle Adjani, Bruno Ganz, Ronald Topor, Walter Ladengast u.a.
Kurzinhalt:
Jonathan Harker begibt sich auf die Reise von Wismar nach Transsilvanien, um mit dem dort lebenden Graf Dracula ein Immobiliengeschäft abzuschließen. Als dieser zufällig ein Bild von Harkers Frau Lucy zu Gesicht bekommt, unterschreibt er ohne weitere Verhandlungen den Kaufvertrag. In der folgenden Nacht wird Harker von Dracula aufgesucht und gebissen - Dracula ist tatsächlich ein leibhaftiger Vampir! Während dieser per Schiff nach Wismar reist, flieht Harker, doch der "Vampir-Virus" schwächt ihn zunehmend. Als das Schiff schließlich Wismar erreicht, strömen unzählige Ratten an Land. Die Pest bricht aus, und der Vampir hat leichtes Spiel, seinen Opfern, insbesondere Lucy, nachzustellen.
Review:
Der Titel "Dracula" erwies sich in der Geschichte des Films stets als solider Kassengarant. Dabei basieren nur wenige Streifen, die sich mit diesem Namen schmücken, direkt auf Bram Stokers Vorlage. Filme wie beispielsweise "Die Vampire des Dr. Dracula" (1967) haben weder einen Bezug zur literarischen Vorlage bzw. zu der Figur an sich, noch zu der überaus populären Filmreihe mit Christopher Lee, der seit 1958 alle Jahre wieder in die Rolle des untoten Aristokraten schlüpfte. Und obwohl sich hinter so manchem "Dracula" erbärmlichster Trash verbirgt, belegen jene Vertreter des Genres zumindest, dass das Interesse an der Figur stets ungebrochen war und sie gewissermaßen als Inbegriff des Vampirs verstanden wird. Dass sich "Dracula" zu einem Synonym des Vampirfilms entwickelte, geht maßgeblich auf die erste Verfilmung des Stoffes aus dem Jahr 1922 zurück. Im Hinblick auf den Erzählstil, die visuelle Gestaltung und die Symbolik gilt diese Filmversion als das Maß aller Dinge, etablierte den Vampirfilm als Subgenre des Horrorfilms und ließ die Figur zu einer beherrschenden Ikone der Popkultur werden. Die Rede ist natürlich von Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens", die mit Max Schreck in der Hauptrolle erstmals Bram Stokers Roman auf die Leinwand bannte und damit den expressionistischen Film in Deutschland zu seinem Höhepunkt führte. Auch wenn Murnau mit seiner Adaption den Roman sehr frei nacherzählte, was auf die fehlende Autorisierung durch Stokers Erben zurückzuführen ist, inspirierte sie doch auch alle weiteren Filmschaffenden, die sich nach ihm des Stoffes annahmen. Es sei nur auf Tod Browning (1931), Terence Fisher (1958) und Francis Ford Coppola (1992) verwiesen.
Einem Film dieser Bedeutung und Tragweite ein angemessenes Denkmal zu setzen, ist ein schwieriges Unterfangen. Werner Herzog, der sich mit seinen akribischen Dokumentarfilmen, aber auch mit seinen visionären Spielfilmen international einen Namen gemacht hatte, wagte sich 1979 an eine Neuverfilmung und eine Hommage an Murnaus Stummfilmklassiker. Die Anforderungen waren hoch: Zum einen musste die Neuauflage das Original entsprechend würdigen, zum anderen musste sie mindestens die selbe Wirkung entfalten wie Murnaus Vorlage. Murnau hatte mit seinem "Nosferatu" das (Horror-) Kino revolutioniert, er erschuf den Vampirfilm, der seit beinahe einem Jahrhundert als Vorbild für ein ganzes Genre gilt, und er machte seinen damaligen Hauptdarsteller, Max Schreck, zu einer Legende. Außer Herzog hätte wohl niemand ein solches anspruchsvolles, ehrgeiziges Projekt realisieren können. Und ihm war klar, dass der Erfolg bzw. das Funktionieren seines "Nosferatu" ebenso wie Murnaus Original maßgeblich von seinem Hauptdarsteller abhängig war. Er entschied sich für Klaus Kinski, mit dem er bereits 1972 an seinem viel beachteten Abenteuerfilm "Aguirre, der Zorn Gottes" zusammengearbeitet hatte. Herzog und Kinski drehten über die Jahre fünf gemeinsame Filme, und diese zählen zweifelsfrei zu den Sternstunden des deutschen Films, und auch wenn Kinskis Tobsuchtsanfälle ständig die Dreharbeiten behinderten, pflegten sie doch eine tiefe, von gegenseitigem Respekt geprägte Freundschaft. Herzog wird in Bezug auf seinen "Nosferatu" gerne mit den Worten zitiert: "Wenn der Kinski das nicht gemacht hätte, dann hätte ich den Film nicht gedreht!"
"Nosferatu - Phanom der Nacht" überzeugt ganz klar durch seine Bildgewalt und atmosphärische Dichte, die im Genre bis heute ihresgleichen suchen. Der Fluch ist von Anfang an spürbar, so wird Lucy bereits zu Beginn des Films von schrecklichen Albträumen geplagt, noch lange bevor ihr Jonathan sich überhaupt auf seine unheilvolle Reise nach Transsilvanien begibt. Seine Wanderung zum Schloss bietet einige großartige Landschaftsaufnahmen, untermalt von Passagen aus Wagners Oper "Das Rheingold", womit Herzog auf beinahe schon groteske Weise das unmittelbar bevorstehende Grauen ankündigt. Draculas Residenz an sich wird in der Außenansicht als verfallene Burgruine dargestellt, von innen hingegen ist es ein zwar nicht gerade prunkvoll ausgestattetes, aber doch gepflegtes Anwesen, welches sich schließlich als Labyrinth entfaltet, wenn Jonathan zu fliehen versucht. Durch diese Realitätsverzerrung erhalten diese Szenen einen äußerst albtraumhaften Charakter und sind zugleich ein Abbild von Jonathans beginnender Vampirwerdung, die sich in Wahnvorstellungen und zunehmender körperlicher Schwächung manifestiert. Der erste Höhepunkt wird erreicht, als das Totenschiff im Hafen von Wismar einläuft. In diesem Augenblick gelingt es Herzog auf beispiellose Weise, mit Hilfe seiner ausdrucksvollen Bilder das grauenvolle Unheil fassbar zu machen. Eine grandiose Szene, in der er seine kinematographische Perfektion und seinen ästhetischen Anspruch unter Beweis stellt. Der nächste Höhepunkt wird dann erreicht, als der Nosferatu Lucy aufsucht. Das Zusammenspiel von Licht und Schatten und von Stille und Geräuschen ergeben einen schauderhaften Moment, der im übrigen sogar einen Filmfehler aus Murnaus Original erneut aufgreift: Hier wie dort ist Dracula kurz im Spiegel zu sehen, obwohl er über gar kein Spiegelbild verfügt.
Herzog nimmt sich viel Zeit, um die verschiedenen Aspekte der altbekannten "Dracula"-Story näher zu beleuchten. So erhalten z.B. Jonathans Gefangenschaft auf dem Schloss sowie seine spätere Wandlung zum Vampir, aber auch Draculas Leiden und Todessehnsucht einen hohen Stellenwert. Weiterhin schweift Herzog in Teilen drastisch von Murnaus Vorlage ab, indem er die Pest zu einem dominierenden Handlungsbestandteil ausbaut. Was Murnau seinerzeit auf Grund technischer Gegebenheiten lediglich andeuten konnte, treibt Herzog vollends auf die Spitze und liefert möglicherweise den "Dracula" ab, den Murnau im Sinn hatte, aber nicht realisieren konnte. Er orientiert sich dabei deutlich an den uralten Sagen und Legenden, die den Nosferatu als abstoßende, todbringende Kreatur beschreiben und eben die Ratte als Symboltier benennen. Die Bilder, in denen die Ratten Wismar übervölkern, in denen die Pestopfer aus ihren Häusern getragen werden und in denen sich die wenigen noch Lebenden mit einem Totentanz selbst zelebrieren, sind extrem beklemmend und verbleiben im Gedächtnis. Auf diese Weise hat noch kein (Leinwand-) Vampir gewütet. Und sie belegen Herzogs außergewöhnliche Fähigkeit, sein Publikum zu bannen und emotional aufzuwühlen.
Stilistisch hält sich Herzog weitestgehend an Murnau. Zahlreiche Kameraeinstellungen finden sich nahezu identisch wieder, auch die Kulissen, das Make-up, selbst Licht und Schatten stimmen überein. Wo Murnau Aufnahmen aus der Tier- und Pflanzenwelt einbringt, zeigt Herzog Bilder einer fliegenden Fledermaus. Die Dramaturgie übernimmt er größtenteils von Murnau und passt diese nur behutsam modernen Sehgewohnheiten an. Isabelle Adjani spielt ihre Lucy (bzw. Ellen, wie sie noch bei Murnau hieß) mit einer ähnlichen Hingabe wie Greta Schröder. Ihre affektierte Darstellung mag in Zeiten des Tonfilms fremdartig und völlig überzogen wirken, ist jedoch unter Berücksichtigung von Herzogs Absicht, eine Hommage an Murnaus "Symphonie des Grauens" zu schaffen, durchaus anerkennenswert. Über jeden Zweifel erhaben ist natürlich Kinskis Darbietung als Dracula. Seine Ausstrahlung und seine beispiellose schauspielerische Disziplin lassen den Nosferatu leibhaftig werden. Ihm gelingt es, den Schrecken, aber auch die Tragik seiner Figur glaubhaft zu porträtieren. Kinski liefert hier ein perfektes Stück Schauspielkunst ab, er verschmilzt regelrecht mit seiner hiesigen Filmrolle und mimt den Nosferatu nicht minder eindrucksvoll als seinerzeit Max Schreck. Schreck wurde durch diese Rolle zu einer Legende, dieser Effekt fehlt zwar bei Herzogs "Nosferatu", schmälert aber in keinster Weise Kinskis Leistung.
Fazit:
Das geniale Gespann Herzog / Kinski hat einige herausragende Filmproduktionen hervorgebracht. Bei "Nosferatu - Phantom der Nacht" dürfte es sich um das Meisterstück handeln. Herzog behandelt den Stummfilmklassiker von Friedrich Wilhelm Murnau mit allergrößtem Respekt und versucht, dessen Intention auf seine Hommage zu übertragen. All das, was Murnau 1922 nicht möglich war, greift Herzog auf und zeigt den "Dracula", den Murnau sich wohl vorstellte, angefangen bei der Namensgebung der Protagonisten bis hin zur eindringlichen Darstellung der Pest. Jedoch möge man nicht den Fehler begehen, den Film als weitere "Dracula"-Verfilmung zu verstehen, vielmehr bezieht er sich auf die alten Vampirmythen und -sagen. Tatsächlich basiert die Handlung nur lose auf Stoker, das Ende unterscheidet sich sogar grundlegend von Murnau. Der Film verlangt seinem Publikum freilich einiges an Geduld und Aufmerksamkeit ab, er lässt sich eben nicht "so nebenbei" anschauen. Der geneigte Zuschauer wird allerdings mit einem Augenschmaus voller Symbolik und Ästhetik belohnt. Er ist ein Kunstwerk, bedacht darauf, einem der wegweisendsten Filme der Geschichte ein würdiges Denkmal zu setzen. Schockmomente sucht man hier vergeblich, die schauerhafte Atmosphäre entsteht ausschließlich aus den raffinierten Bildkompositionen und der Dramaturgie, die mit den menschlichen Urängsten spielt. Dass Herzogs "Nosferatu" nicht derart revolutionär und bahnbrechend wie Murnaus Original sein kann, versteht sich von selbst. (Die Grundregel lautet: Stelle niemals dein Vorbild in den Schatten!) Nach all den Lobhuldigungen wird es an dieser Stelle niemanden verwundern, wenn ich die Frage, ob Herzog die Erwartungen erfüllt, eindeutig mit "Ja!" beantworte. Er besinnt sich auf die Ursprünge des Vampirfilms und zeigt dadurch auf, wie sehr sich das Genre und die Filmkunst an sich weiterentwickelt haben. Mit dem falschen Hauptdarsteller hätte die Neuverfilmung niemals gelingen können, doch an Kinskis Performance besteht kein Zweifel. Sicher eine der besten Rollen in der Filmographie dieses genialen Ausnahmeschauspielers.