Originaltitel: The Great Game Episodennummer: 1x03 Bewertung: Erstausstrahlung UK: 08.08.2010 Erstausstrahlung D: 07.08.2011 (ARD) Drehbuch: Mark Gatiss Regie: Paul McGuigan Kamera: Steve Lawes Musik: David Arnold und Michael Price Hauptdarsteller: Benedict Cumberbatch als Sherlock Holmes, Martin Freeman als Dr. John Watson Gastdarsteller: Una Stubbs als Mrs. Hudson, Rupert Graves als Detective Inspector Lestrade, Zoe Telford als Sarah, Louise Brealey als Molly Hooper, Andrew Scott als Jim, Vinette Robinson als Sergeant Sally Donovan, Mark Gatiss als Mycroft Holmes, Matthew Needham als Bezza, Kemal Sylvester als Bahnarbeiter, San Shella als Alan West, Lauren Crace als Lucy, Deborah Moore als weibliche Geisel, Nicholas Gadd als männliche Geisel, Caroline Trowbridge als Mrs. Monkford
Kurzinhalt: Sherlock Holmes sehnt sich nach einem neuen Fall und etwas Aufregung – ein Wunsch, der ihm auch kurz darauf erfüllt wird, als es nahe seines Apartments zu einer Explosion kommt. Am nächsten Morgen bittet ihn sein Bruder Mycroft um Unterstützung bei einem Fall: Ein Agent wurde ermordet und jene wichtigen Dokumente über ein geheimes Waffenprojekt, die er auf einem USB-Stick mit sich führte, gestohlen. Doch Holmes erscheint dieser Auftrag zu banal, weshalb er ihn an Watson delegiert. Tatsächlich erfordert schon bald ein deutlich verzwickterer und dringlicherer Fall seine Aufmerksamkeit: Er erhält eine anonyme Nachricht, die ihn zu einem Spiel auf Leben und Tod herausfordert: Sherlock Holmes hat jeweils nur wenige Stunden Zeit, um insgesamt 5 voneinander scheinbar unabhängige Verbrechen aufzuklären. Gelingt ihm das nicht, wird eine Geisel sterben…
Review:80 Minuten lang war "Das große Spiel" auf dem besten Weg, ein fulminantes Finale und die bisher beste Episode dieser Neuinterpretation von Sherlock Holmes zu bieten. Beim Einstieg wurde mit dem deprimierten Holmes, der vor Frust und Langeweile auf die Wand schießt, der perfekte Ton getroffen – ehe seine Lethargie durch die Explosion jäh unterbrochen wurde. Danach nahm "Das große Spiel" zunehmend Tempo auf und bot nur mehr sehr kurze Verschnaufpausen (wie den herrlichen Dialog zwischen Holmes und Watson über unser Sonnensystem, der fast 1:1 aus Sir Arthur Conan Doyle's ersten Sherlock Holmes-Roman "Eine Studie in Scharlachrot" übernommen wurde). Spätestens, als Sherlock die erste Nachricht von seinem großen Widersacher erhalten hat und erkennt, dass das Leben eines Menschen auf dem Spiel steht, ist die Spannung schon fast greifbar.
Die Besonderheit an den nachfolgenden fünf Fällen (die zwar einzelne Elemente aus der literarischen Vorlage entnehmen, größtenteils jedoch Neuerfindungen sind) ist, dass Sherlock Holmes hier unter Zeitdruck arbeiten muss – ist doch mit jedem Fall ein bestimmtes Ultimatum verbunden. Gelingt es ihm nicht, ihn bis dahin zu lösen, wird die Geisel sterben. Ein genialer Kniff, um die Fälle nicht einfach nur interessant zu machen, sondern ihnen auch Dringlichkeit zu verleihen. Zugleich erkennt man aber auch, dass Sherlock – so wichtig es ihm auch sein mag, diese Leute zu retten – dies möglicherweise gar nicht als Anreiz gebraucht hätte. Er genießt dieses geistige Sparring mit seinem Widersacher förmlich. Gleichzeitig hält ihn dies aber auch ordentlich auf Trab, denn kaum hat er ein Verbrechen aufgeklärt, wartet schon das nächste Rätsel auf ihn, dass es innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens zu lösen gibt. Eben deshalb bekommt diesmal auch Watson etwas Ermittlungsarbeit "delegiert", darf er doch im Fall des ermordeten Agenten bzw. des gestohlenen USB-Sticks vermitteln – und dabei beweisen, dass er zwar kein Holmes sein mag, aber doch zumindest über rudimentäres detektivisches Gespür verfügt.
Für "Das große Spiel" ist Paul McGuigan (der bereits "Ein Fall in Pink") inszeniert hat, wieder in den Regiestuhl zurückgekehrt – und das sieht man. Die Inszenierung ist wieder um einiges ausgefeilter, und auch wenn die Texteinblendungen mit Hinweisen etc. auch hier nicht mehr so häufig eingesetzt werden wie beim Einstieg in die Serie, so sind sie doch wieder häufiger zu sehen als noch beim "blinden Banker". Auch davon abgesehen schmückt er dieses "große Spiel" mit vielen gelungenen Einstellungen und Bildern. Die schauspielerischen Leistungen sind erneut über jeden Zweifel erhaben, wobei mich vor allem Benedict Cumberbatch hier wieder so richtig begeistern konnte, hat Holmes doch diesmal einen würdigen Gegenspieler, der ihn vor eine echte Herausforderung stellt und dem sonst so selbstsicheren Ego des Meisterdetektivs doch ein paar kleinere Risse zufügt – was von ihm überzeugend dargestellt wird.
Spannung, Tempo und Dramatik befinden sich, nicht zuletzt aufgrund der Fülle an Inhalt, den es hier in 90 Minuten zu erzählen gibt, auf bestechend hohem Niveau. Hatte man bei "Der blinde Banker" noch das Gefühl, eine halbe Stunde weniger hätte auch nicht geschadet, würde man sich hier im Gegenzug wünschen, man hätte noch eine zusätzliche halbe Stunde draufgepackt, oder überhaupt eine Doppelfolge daraus gemacht. Zwar gelingt es Drehbuchautor Gatiss (der auch hier wieder in seiner kleinen Nebenrolle als Mycroft Holmes zu sehen ist) und Regisseur McGuigan, dass trotz der Fülle an Handlung kein gehetzter Eindruck entsteht, dennoch bleibt der Geschichte kaum Luft zum atmen – ein Fall jagt den anderen. Diese schwanken zwar ein wenig in ihrer Qualität – vor allem was die Auflösung betrifft – aber da man sich mit keinen davon übertrieben lang auffällt, hat selbst der eine oder andere weniger gelungene keine Zeit, um einen bleibenden negativen Eindruck zu hinterlassen. Es fällt einem auch wenn überhaupt nur rückwirkend auf, da man während man die Episode sieht ohnehin zu sehr damit beschäftigt ist, mit Holmes – und den zahlreichen Wendungen – Schritt zu halten.
Wie zum Einstieg erwähnt: 80 Minuten lang liefert man Krimi- und Thriller-Unterhaltung auf allerhöchstem Niveau – und dann kommt Moriarty. Mir ist bewusst, was Steven Moffat und Mark Gatiss hier erreichen wollten – sie wollten sich von den bisherigen Verfilmungen und Darstellungen der Figur um jeden Preis abheben. Etwas neues, frisches, originelles liefern. Und das ist ihnen ja auch durchaus gelungen. Sie haben dabei nur etwas sehr wichtiges vergessen: Es hat einen Grund, warum Moriarty bisher immer auf recht ähnliches Art und Weise dargestellt wurde – nämlich als ruhige, clevere, bedrohliche Präsenz, und damit quasi ein dunkles Spiegelbild von Holmes: Es hat funktioniert. Ihre Neuinterpretation versagt hingegen aus meiner Sicht bei einem essentiellen Punkt: "Ihr" Moriarty ist schlicht und ergreifend nicht bedrohlich. Selbst Mycroft hat bei seinem ersten Auftritt beängstigender und gefährlicher gewirkt, und hatte eine bedrohlichere Bildschirmpräsenz, als Moriarty…
Nun gebe ich schon zu… es hilft nicht gerade, dass man um sich um die Zuschauer auch ja zu überraschen und aufzuzeigen, wie undurchsichtig Moriarty agiert (da es ihm gelungen ist, Holmes zu überlisten, und auch uns), da man eine recht offensichtliche Interpretation der Geschehnisse (Achtung, Spoiler!) nämlich, dass es Moriarty auf den USB-Stick abgesehen hatte, und er Sherlock deshalb in dieses Katz- und Maus-Spiel verstrickt hat (Spoiler Ende) verwirft. Das Problem ist nur: Diese wäre wenigstens auch logisch gewesen, hätte Sinn ergeben – und wir hätten Moriarty's Motivation verstanden. Stattdessen bleibt leider völlig unklar, was das ganze eigentlich sollte, und warum Moriarty Sherlock Holmes zu diesem Tanz geladen hat – vor allem auch: Warum gerade jetzt. Dadurch, dass wir Moriarty bzw. dessen Plan nicht verstehen, können wir auch nicht dessen Genialität anerkennen und ihn damit als würdigen Gegenspieler für Sherlock Holmes akzeptieren. Er mag eine Bedrohung sein, aber die letzte Szene in "Das große Spiel" hat mir leider nicht offenbart, was ihn zu einem Gegner machen würde, der auf Sherlock's Augenhöhe agiert. Der Cliffhanger am Ende mag dann wieder gut gelungen sein und einen spannenden Abschluss der ersten Staffel bieten – trotzdem blicke ich nach dieser Einführung von Holmes' Erzfeind der Fortsetzung nun leider doch auch mit ein wenig Sorge und Skepsis entgegen. Denn zumindest mich hat diese Darstellung von Sherlock Holmes großem Erzfeind nicht wirklich überzeugt…
Fazit:Die Idee, Sherlock Holmes statt nur einem großen Fall viele kleine zu geben, die er noch dazu unter Zeitdruck lösen muss, sorgt dafür, dass "Das große Spiel" mit Abstand die (bisher) spannendste und dramatischste Episode der Serie war. Teilweise erinnert der Abschluss der ersten Staffel schon mehr an einen Thriller denn einen gewöhnlichen Krimi. Dennoch sind die Verbrechen durchaus ausgeklügelt und können überzeugen. Auch die Inszenierung ist wieder einmal sehr hochwertig, und die schauspielerischen Leistungen erneut über jeden Zweifel erhaben. Einzig die hier gewählte Darstellung von Holmes' Erzfeind Moriarty hat mich nicht überzeugt, und zieht "Das große Spiel" für mich leider deutlich runter. Nicht nur erhalten wir keinen Einblick in seinen Plan und können daher auch nicht abschätzen, inwiefern es sich um einen würdigen Gegenspieler für Holmes handelt, er wirkt auch keineswegs bedrohlich. Mir persönlich war diese Darstellung jedenfalls etwas zu schräg, und zu sehr darauf konzentriert, etwas Neues zu liefern – unabhängig davon, ob es auch funktioniert. Dadurch konnte diese erste Konfrontation der beiden Widersacher meine – zugegebenermaßen hohe – Erwartungshaltung nicht im Geringsten erfüllen. Trotz dieses Kritikpunkts bot aber auch "Das große Spiel" zweifelsfrei wieder tolle, empfehlenswerte Krimi-Unterhaltung weit über dem TV-Durchschnitt!
Es hat uns enttäuscht, daß der verrückte"Gegenspieler" nicht gefasst wird. Und schiesst Sherlok jetzt auf die Bombe oder nicht? Und jagt sich selber in die Luft?? Har,Har...
Also Moriarty bereits in dieser Folge zu schnappen wäre für mich eine riesige Verschwendung gewesen - das fand ich also definitiv positiv. Und was den Cliffhanger am Ende betrifft -> in England wird gerade die 2. Staffel gedreht. Wir werden es also bald erfahren
Ich hätte die Folge in dem Moment beendet in dem Watson das Schwimmbad betritt und sagt "Das haben Sie nicht erwartet." Dann hätte man sich Moriarty für die zweite Staffel aufheben können, und die Drehbuchautoren hätte noch ein klein wenig länger über seine Motivation nachdenken können.
keine schlechte Idee, aber ich denke, die Produzenten hatten Angst vor der Fan-Reaktion auf solch eine Wendung, selbst wenn man sie nur angedeutet hätte. Man hätte sie in der Luft zerrissen, und selbst wenn sich in der 2. Staffel herausgestellt hätte, dass alles nur ein Trick war, wären vermutlich viele vor Ärger nicht mehr zurückgekehrt. Aber ja, ich geb dir recht - spannend wär's auf jeden Fall gewesen! Und auch ich hätte es besser gefunden, Moriarty noch nicht zu zeigen...
ein ähnliches Finale wie du es für "Sherlock" vorschlägst, gab es in der 1. Staffel der amerikanischen Krimiserie "The Killing". Die wütenden Reaktionen der enttäuschten Fans waren daraufhin so heftig, dass der Sender AMC sich sogar öffentlich entschuldigt hat. Scheinbar fühlte sich ein Großteil der Zuschauer verarscht und für dumm verkauft. (Ich war mit dem Staffelfinale von "The Killing" allerdings überwiegend zufrieden.)
Es ist also nicht immer einfach, einen guten Kompromiss zwischen einem originellen/überraschenden Finale und einer zufriedenstellenden Auflösung der Haupthandlung zu finden. Ich wäre auch ziemlich enttäuscht gewesen, wenn wir am Ende der 1. Staffel von "Sherlock" nicht erfahren hätten, wer Moriarty wirklich ist. Was die Darstellung dieser Figur angeht, kann ich Christian in seinem Review übrigens nicht zustimmen. Ich fand Moriartys ersten Auftritt insgesamt sehr gelungen, angenehm überraschend und erfrischend anders.